Politisch sein

Gerade lese ich diesen Artikel hier bei der ZEIT Online und komme ein wenig ins Denken. Da schreibt Anne-Kathrin Gerstlauer Sachen wie:

Sahra, das Instagram-Girl, bloggt nicht mehr. Keine Zeit. Seit Wochen läuft sie zum Lageso, dem Berliner Amt vor dem Flüchtlinge campieren und kollabieren. Hier helfen Studenten, Berufstätige und Rentner, die Zustände ein bisschen erträglicher zu machen.

Das soll ein Beispiel dafür sein, wie politisch Sahra ist. Aber meiner Meinung nach ist das erstmal soziales Engagement, was ich hochanständig und völlig super finde – was aber dennoch kein Nachweis politischen, sondern eben sozialen Engagements darstellt. Dass das Lageso so überfordert ist, ist Folge einer Politik, die nicht auf die vielen Flüchtlinge eingestellt ist. Politisches Engagement hieße, die Verhältnisse im Lageso so zu verändern, dass es allen Anforderungen gerecht wird und eben kein soziales Engagement aus der Bevölkerung mehr nötig wäre. Beim politisch sein geht es darum, Positionen einzunehmen und – das ist der entscheidende Teil – diese auch umzusetzen, für alle, strukturell und nicht nur punktuell. Es geht bei Politik darum Prozesse zu etablieren, die mit Herausforderungen so umgehen können, dass niemand überfordert sein muss.

Nein, ich lächle keineswegs müde über dieses soziale Engagement, im Gegenteil glaube ich, dass es erstens fantastisch ist, wie viele sich dort einbringen und ich finde es ganz wichtig, dass man jede*n eizelne*n dafür lobt und mit Anerkennung überhäuft.

Was mich aber nervt, ist dass auch in diesem Text Parteien als etwas Anrüchiges dargestellt werden, als wären demokratische Parteien sowas wie Scientology oder schlimmeres. Das Gegenteil ist richtig, Parteien sind etwas hochanständiges, da lassen sich Menschen dafür beschimpfen und machen unverdrossen dennoch elementare Arbeit, die unser aller Zusammenleben erst ermöglicht.

Übrigens helfen wir nicht nur. Wir denken auch. Wir werden unbequeme Fragen stellen: Warum dürfen die Flüchtlinge an meiner Uni nicht studieren? Wo können wir sparen, um das zu finanzieren? Wieso schicken wir Waffen in Länder, aus denen Menschen fliehen?

Auch hier glaube ich, dass sich was ändern muss. Es reicht nicht, sich diese wichtigen Dinge zu denken und zu wünschen. Es reicht nicht, sich diese Fragen nur zu stellen, sondern man muss Antworten darauf finden. Es gibt immer ganz viele verschiedene Antworten auf solche Fragen. Man muss sich persönlich für eine entscheiden, also Position beziehen. Das ist mitunter unangenehm, weil jede Position immer angreifbar ist. Immer, oft auch unter der Gürtellinie. Für Schiedsrichter und die Presse ist es elementar wichtig, ausgewogen und neutral zu sein, bei Bürger*innen mit Wahlrecht führt Indifferenz fast immer in die Politikverdrossenheit. Man muss sich trauen, öffentlich zu sagen, dass Sigmar Gabriel in der Sache A recht hat und in der Sache B ganz und gar nicht.

Und wenn man sich endlich zu seiner Antwort, zu seiner Position durchgerungen hat, was an sich schon schwer genug ist, dann darf man nicht aufhören, dann geht das politisch sein ja erst richtig los: Mehrheiten bilden. Die Position durchsetzen. Verlieren, verlieren, ausgelacht werden. Aufstehen und mehr Leute für die Position finden. Kompromisse eingehen, die eigene Position ständig hinterfragen, neue Mehrheiten bilden. Es reicht nicht, sich etwas zu wünschen. Wenn man sich nur etwas wünscht, endet man wie die Piraten: Tolle Ideen, keine Mehrheit, nichts umgesetzt. Einzig Julia Reda arbeitet unverdrossen immer weiter, das ist politische Arbeit und das ist hochanständig.

Heike Raab hat uns bei D64 den aktuellen Stand zum JMStV vorgestellt. Wir konnten nicht anders, als das Ergebnis heftig zu kritisieren und in Gänze abzulehnen. Dennoch musste ich Heike nach ihrem Vortrag für all ihre Schweinearbeit danken, seit 5 Jahren reißt sie sich sämtliche Beine für diesen verkackten Vertrag aus und kriegt von uns nichts als Kritik zu hören. Sie arbeitet trotzdem daran weiter, sie hat eine andere Position und versucht sie durchzusetzen. Ich finde diesen Einsatz hochanständig, genauso wie ich den Einsatz derer hochanständig finde, die diesen Vertrag aus guten Gründen kippen wollen. Das ist politische Arbeit, und dafür erntet man nichts als Hohn, Spott und Verachtung und das kotzt mich an.

Der „Student aus Bonn, der über Nacht einen Eilantrag ans Bundesverfassungsgericht gegen das Versammlungsverbot in Heidenau schrieb“ ist ein Parteigenosse von mir. Der ist völlig politisch engagiert, mit Partei und allem Zipp und Zapp und ich habe nicht den Eindruck, dass er sich dessen schämt. Ich zolle allen, die sich in demokratischen Parteien einbringen höchsten Respekt und ich finde, das sollten ausser mir noch ein paar mehr tun.

Von Maxim Loick

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