Humano Menetekel auf Großer Fahrt

Eines der wichtigsten Prinzipien in der Literatur ist ja wohl das Scheitern, und als Meister aller Klassen will ich Euch mein neuestes ganz großes Ding darlegen, ein Scheitern interessantester Art.

Vor achtzehn Monaten begann ich mein Werk, vor achtzehn Monaten stellte ich mir die Charaktere zurecht, den Ansager im Fahrgeschäft eines Schaustellerbetriebs, der an eine Wohnwagentür geklopft hatte, ab der ein Schild hing: “Junger Mann zum Mitreisen gesucht.“ Das war vor fünfunddreißig Jahren gewesen. Und jetzt sieht er in seinem Autoscooter eine Frau, die er für seine Frau hält.

Ich hatte den Rastlosen quasi fertig, einundachtzig, vier mal pleite, sechzehn Firmen gegründet und verkauft.

Der Neohippie, der alles hinschmeißt und nach San Francisco auswandert, um Schnittmuster zu lernen und Sachen zu nähen.

Ein Reigen sollte es werden, einer tritt in Kontakt zum nächsten und so sollte die Geschichte weiter getragen werden, gelehrte Anspielungen sollten meine Kennerschaft Schnitzlers subtil transportieren.
Doch dann habe ich mich übernommen. Ich habe zu viel gewollt. Der Schausteller, der Rastlose, der Hippie, tausende Kontakte jeden Tag, ein Reigen ganz von allein.

Ich bin Humano Menetekel, ich wollte mehr.

Ich wollte das besondere, ich suchte die Herausforderung, ich wollte den Kampf.

Ich begann meinen Reigen mit dem Eremiten. Ich beschrieb, wie er aussieht, ich vermied die Klischees, ich gab ihm ein individuelles Äußeres, ich ließ ihn sich pflegen (jedoch nicht mehr als nötig), ich beschwor große Naturbilder herauf, um minutiös sein Habitat zu zeichnen, ich ließ die Jahreszeiten über es hinwegziehen und verbiss mich in die Vor- und Nachteile seiner Behausung bei Hitze, Regen und Frost.
Ich ließ den Leser in den Kopf des Eremiten schauen, ich ließ ihn teilhaben, wie er die Einsamkeit bekämpfte und wie er sein Gelübde verteidigte. Ich beschrieb sein Leben davor und seine Beweggründe, ich ließ ihn krank werden und genesen, ich ließ ihn mit seiner Sexualität hadern und Lieder schreiben, ich ließ ihn Sinn finden, verlieren und neu finden, ich ließ ihn Großes erschaffen und in Stumpfsinn versinken, ich ließ ihn fragen und fragen und fragen.

Elfhunderteinundsiebzig Seiten, ich wollte das Spiel immer weiter treiben, ich zögerte seine erste Begegnung mit dem nächsten Charakter meines Reigens schmerzvoll, aber genüsslich hinaus. Jeden Tag der achtzehn Monate war ich drauf und dran, eine der anderen Personen quasi als Deus ex Machina in sein Leben treten zu lassen und jeden Tag fügte ich stattdessen seinem Charakter ein weiteres Mosaiksteinchen hinzu. Nun stehe ich da mit elfhunderteinundsiebzig Seiten.

Das Problem ist diese ungeheure Menge von Text. Das sind elfhunderteinundsiebzig Seiten, aus meinem Kopf auf’s Papier gebracht in achtzehn Monaten. Es sind elfhunderteinundsiebzig Seiten, die sterbenslangweilig sind, die ich aber ob ihrer schieren Menge nicht wegzuschmeißen wage.

Ich bin Humano Menetekel und habe ein Scheitern literarischen Ausmaßes vorzuweisen.

Von Maxim Loick

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