Deutschlandreise mit Internet

Am 14. November fing sie an, meine Deutschlandreise mit Internet. Alle Hotels, alle Reiseverbindungen alle Vorabverabredungen online gebucht, die Bahntickets auf Papier ausgedruckt, denn Zugbegleiter*innen sind die einzigen Menschen, die QR-Codes scannen, und das exzessiv. Ausserdem brauche ich auf dem Bahnsteig alle zehn Sekunden die Rückversicherung, in welchem Wagen ich nochmal sitze und auf welchem Platz. Wagen 12, Platz 29. Zwölfneunundzwanzig, zwölfneunundzwanzig. Wann kommt der Zug? Nochmal nachgucken, ah, 8:29. Achtuhrneunundzwanzig. Gleis zwei, war doch richtig, oder? Zwei, Gleis zwei. Welcher Wagen nochmal? Dafür brauche ich das Papier in diesen digitalen Zeiten.

Als der Zug kommt, steige ich ein und setze mich. Handy im Anschlag. Die Jammerplaylist bei Spotify sicherheitshalber offline verfügbar gemacht, denn das mit dem Internet im Zug, das weiß man ja, ist immer so eine Sache. Es gibt einen Hotspot von T-Online, kostet fünf Tacken, soll ich? Ach komm, ist eine lange Fahrt von Bonn nach Berlin, das Abenteuer wartet, soll heute mal nicht drauf ankommen, raus mit der Kohle, rein mit der Welt in mein Handy und damit in meinen Kopf. Middelhoff und Manuela Schwesig sind am diesem Tag die Themen, der BVB grüßt in die TL und wird aus Brasilien, Saudi Arabien, und Malaysia zurückgegrüßt, und überhaupt aus der ganzen Welt. Ich lese was über die miese Lage der Twitteraktie und haue einen schnellen Tweet raus, der mir eigentlich immer noch gefällt. Die Jammerplaylist kommt bei den White Stripes an und geht über zu Jimi Hendrix:

Als ich in Berlin ankomme, bin ich mit @Rheinwaerts lose verabredet. Erstmal ins Hotel, die Sachen abwerfen, dann eine Message an ihn. In der Zwischenzeit Frage von @horax, ob wir vor der D64-Mitgliederversammlung schon mal ein Bier in der Tschechischen Bierbar im KaDeWe nehmen sollen. Ich sage hocherfreut zu. Ich warte noch ein wenig, ob @Rheinwaerts sich noch mal meldet, aber er hat an diesem Tag im Ministerium zu tun, also einen schnellen Burger in irgendeinem Laden gegen den Hunger. Ist nur so mittel, der Burger, macht aber nichts. Ich befrage Allryder, wie ich am besten zum KaDeWe komme und baldowere eine Route aus.

Im KaDeWe bin ich zu früh, also schlendere ich durch die Luxusabteilungen, mir ist etwas zu warm mit Jacke, Hoodie und T-Shirt drunter. Ich sehe ganz tolle Ittala-Sachen und überlege, ob ich was davon kaufen soll und in völliger Umnachtung und unter dem Einfluss des abwegigen Gedankens, dass ich sicher noch mal wieder her komme in den nächsten Tagen, kaufe ich nichts. Im sechsten Stock muss ich leider alle Gänge vollsabbern, weil es dort alle meine primären Dingse angesprochen werden: Wurst! Fisch! Bier! Porco Iberico! Whisky! Wein! Ich checke, wo genau hier jetzt die Tschechische Bierbar ist und gucke, ob @horax vielleicht auch schon früher da ist. Ein Taptalk von ihm erreicht mich in diesem Moment, es zeigt ein Foto vom KaDeWe von draußen – er ist also gleich da.

Wir bestellen Biere, er Budvar, ich Pilsener Urquell, und reden gleich mal los. Über die Post, die uns ja beide gewissermaßen ernährt und über das Tragen von Anzügen mit Krawatten. Wir sprechen über das Fressen von sauguten Dingen und beweinen, wie @frau_ratte als Vegetarierin mit dem Bio-Grünkohl, den ich unzubereitet zu Hause hatte zurücklassen müssen, umgesprungen ist („Kein Schweineschmalz! Keine Bregenwürste, nicht mal Mettenden! Ach, Bruder im Leid, lass uns trinken!“).

Wir brechen auf zur Mitgliederversammlung von D64. Dort gibt es noch einmal etwas zu essen und die Kollegin von der FES (wo das ganze stattfindet) stellt Flaschenbiere hin. Ich nehme pflichtbewusst erstmal ein Wasser. Alle sind pünktlich, als @EskenSaskia den Raum betritt, brandet etwas Jubel auf ob der zwei Millionen Euro, die sie im Bundeshaushalt für OER verankern konnte@Nico fasst dann schnell die Errungenschaften von 2013 zusammen. Vor meinem inneren Auge steigen die Bilder der Superklausurtagung 2013 auf und ich denke: Wir machen uns. Wir sind mehr. Wir haben mehr Frauen dabei. Unsere Geschlechterquote ist aber immer noch völlig in Missbalance. @valentinakerst bezeichnet @horax und mich, wie wir da so sitzen, ganz hinten am Ende des Tisches, als „Alterspräsidenten“, weil wir es uns ein wenig zu bequem gemacht haben, @Rheinwaerts kommt direkt aus dem Ministerium dazu und trägt noch eine Krawatte. @Nico verliest die Kandidat*innen für den neuen Vorstand und @holadiho schickt uns via Twitter die Aufforderung, ihm eine Flasche Bier durchzureichen. Am Ende ist @kettenritzel_cc froh, dass er den Job des Kassierers an @lutzmache losgeworden ist und ich meine, ich hätte einen verhaltenen Besenrührtanz von ihm gesehen – aber ich kann mich auch täuschen. Nach einer kleinen Anpassung der Beitragsordnung von D64  und der Wahl unseres neuen Vorstands gehen wir rüber in eine Tacobar, um wegen des großen Hungers etwas zu essen und ein paar Biere zu trinken. Wir lernen uns da alle besser kennen, es herrscht eine angenehme Stimmung. Wir sprechen da schon über digitale Themen, über Bildung, über Smartwatches und dürfen alle mal die coolen Dinger von @lutzmache und @domlen (oder war’s die Uhr von @schoemi?!) anlegen. Mit @Rheinwaerts bin ich mir einig, dass man nicht für das bis heute nicht enteignete Schmierblatt schreiben darf und wir finden, dass wir vielleicht besser Kontakt zum WDR knüpfen sollten, damit dieser in Kooperation mit D64 sowas wie den 7. Sinn digital dreht und abends vor der Tagesschau bundesweit ausstrahlt. Und wir fragen uns, ob es eigentlich so netzpolitische Vereine auch anderswo in Europa gibt oder nur in Deutschland und ob wir uns nicht mit denen mal zusammentun könnten. Ich mache Bekanntschaft mit @EskenSaskia und wir beide freuen uns, dass wir uns mal in Echt treffen und ich fühle mich ein wenig gebauchpinselt, dass sie mich aus der TL kennt. Sie sagt mir, dass sie gern, wenn es dazu käme, in einer Arbeitsgruppe „Bildung“ mitmachen würde.

Später, als die Runde sich auflöst, fahren @Rheinwaerts und ich mit dem Taxi in unser Hotel und klemmen uns auf einen Scheidebecher nochmal an die Hotelbar. Da wird’s bei mir nun zugegebenermaßen etwas nebulös mit der Erinnerung, aber ganz fest habe ich mir gemerkt, dass wir uns für den nächsten Morgen um 9:30 in der Lobby verabredet haben, um pünktlich um 10:00 Uhr bei der Superklausurtagung da zu sein.

Pünktlich um 10:00 Uhr sind wir da. Organisiert hat das ganze @kettenritzel_cc, der auch seine beiden Kinder dabei hat und ich denke: Wie schön! Hier sind nicht nur so bekloppte Digital-Nerds, sondern so bekloppte Digitial-Nerds mit Kindern. Die Superklausurtagung beginnt und ich sitze neben @leonidobusch, den ich sowieso schon immer völlig super fand, der mir aber auch ständig Freundlichkeiten entgegenbringt, die mich jeden seiner Beiträge im Netz mit allen mir zur Verfügung stehenden Accounts retweeten lässt.

Wir reden über das Verhältnis von D64 zur SPD. Bei der Frage, wer denn zusätzlich noch SPD-Mitglied ist, zeigen fast alle auf. Wir reden darüber, dass wir aber keinesfalls als SPD-Gliederung verstanden werden wollen. Wir wollen aber durchaus, dass wir als Verein wahrgenommen werden, der sozialdemokratische Werte vertritt. Wir wollen klar haben, dass wir finanziell und organisatorisch völlig unabhängig sind, sowohl von der SPD als auch von irgendwelchen Wirtschaftsunternehmen. Unser neues Vorstandsmitglied @ReichelS haut mal schnell den Spruch raus, dass es viel mehr so ist, dass die SPD den politischen Arm von D64 darstellt. Heiterkeit im Plenum. Aber wir stellen fest, dass es schon ganz gut und richtig ist, dass wir eine gesunde Distanz zur SPD haben und uns immer rausnehmen werden, diese zu kritisieren, wenn das nötig ist (genauso wie ich mir rausnehme, diese zu loben, wenn das nötig ist).

Wir bilden Gruppen, um Themen zu bearbeiten. @kettenritzel_cc gerät ob seiner Kinder, die so langsam etwas gelangweilt sind und sich selbst Beschäftigung suchen, ein wenig ins Schwitzen. Ich bin ganz hingerissen davon, dass sich niemand (ausser @kettenritzel_cc) davon aus der Ruhe bringen lässt und denke: Heja D64, mein Verein! Wir reden über interne organisatorische Dinge, Mitgliederbetreuung, Neumitgliedergewinnung und sowas und ruckedizuckedi ist Mittagspause. Wir gehen zu McDonald’s am Checkpoint Charlie und ich denke bei dem großen Touristenaufkommen dort, wie geil das ist, dass hier heute ein Mäckes ist und dieser Checkpoint nur noch eine Touristenattraktion. @Nico fragt mich ironisch, ob ich mich nicht mit diesen Grenzerstatisten fotografieren lassen will und kurz bin ich versucht, das wirklich zu tun, um @frau_ratte und den Kindern zu Hause ein schönes Taptalk schicken zu können. Aber dann ist mir das ein wenig zu unhip und das hätte auch nicht zu dem supercoolen Tonfall, den ich in dem Moment angeschlagen hatte, gepasst.

Nach dem Mittagessen teilen wir uns abermals in Arbeitsgruppen auf, ich begebe mich in die Gruppe „Bildung“, die ich selbst (neben anderen) vorgeschlagen habe. Wir machen ein Brainstorming. Wir finden ganz viele Aspekte und Themen und was alles so falsch läuft. Und @leonidobusch dängelängt und von den ausgetretenen Pfaden und ich denke daran, dass @EskenSaskia gerne in einer festen Arbeitsgruppe „Bildung“ mitmachen will. Am Ende haben wir vier wesentliche Blöcke da stehen, die wir in den nächsten Wochen und Monaten ausarbeiten wollen. Ich sage in der Gruppe, dass ich gern hätte, wenn wir uns noch heute als Arbeitsgruppe offiziell konstituieren.

Wir kommen wieder alle zusammen und jede Gruppe berichtet, was sie so erarbeitet hat. Ich präsentiere uns. Ich lege Wert darauf, dass wir neben den vielen Aspekten und besprochenen Diskussionsfeldern uns vor allem auch darauf geeinigt haben, dass wir uns mit persönlicher Unterschrift darauf committen, eine echte und institutionalisierte AG Bildung zu gründen. Ich schlage mich als Leiter vor und ich habe den Eindruck, dass alle ganz froh sind, dass ich das tue. Nicht, weil ich so ein Superbildungchecker wäre, sondern nur weil sich überhaupt jemand dazu bereit erklärt, sich den Hut aufzusetzen (um mal etwas Beraterdeutsch einfließen zu lassen). @valentinakerst notiert: Leiter D64 Bildung: Maxim Loick. Ich bin froh und freue mich seit dieser Sekunde darüber, bis heute! Ich kabelte die Neuigkeit gleich nach Bonn an @frau_ratte und per E-Mail bat ich Kommunardin @katharinchen um Unterstützung in ihrer Funktion als Lehrerin. Sie sagte mir alles in ihrer Macht stehende zu.

Um 18:00 Uhr war die Superklausurtagung zu Ende. Ich hatte mich vorher per DM mit @kommandomutti und @moellus verabredet, denn ich wollte den beiden und ihren Kindern ganz dringend meine Aufwartung machen. Sie empfingen mich auf’s allerherzlichste und wir schmierten uns zum Abendbrot herrliche Stullen mit Salami und @moellus riet seinem Sohn, er solle viel davon essen, so gute Wurst gäbe es nur bei Westbesuch. Ich durfte mit @moellus sein erstes Bier seit seinem Unfall trinken und danach mit ihnen allen zusammen Schlag den Raab gucken. Mit @kommandomutti geriet ich gleich wieder ins Politische über Kinderbetreuungsplätze und das Selbstverständnis von Westfrauen als gute Mutter. Im Nachhinein dachte ich, das war vielleicht etwas blöd, denn immerhin hatte @moellus einen ziemlich schweren Unfall gehabt und ich frage nicht nach seinem Wohlbefinden, sondern nach sowas. Mir war aber durch den Kopf gegangen, dass die beiden vielleicht gar keine Lust haben, immer nur über den Unfall zu reden, der ja im Moment, so meine Annahme, auch so schon ziemlich viel Platz in ihrem Leben einnimmt. Darum laberte ich irgendwas politisches und irgendwas anderes daher, ich hoffe, dass die beiden mir das nachsehen. Ich würde sowas gern richtig machen, aber weiß nicht so genau, was da richtig ist. Jedenfalls gehören @moellus und @kommandomutti seit Anbeginn meiner Twitterzeit zu meiner liebsten Twitteria und obschon ich sie eigentlich nur aus der TL kenne sind sie irgendwie ganz wichtig für mich geworden und ich habe viele Sprachelemente von ihnen in meinen aktiven Wortschatz übernommen. Ich möchte gerne für sie da sein, aber ich kann trotzdem nur das Internet für sie sein, aber das zumindest soll warm und gut sein.

Am Ende dieses Tages saß ich wieder mit @Rheinwaerts in der Hotelbar und wir ließen den Tag Revue passieren, während einer der Klitschkos einen anderen Boxer vertrimmt hat. Es wurde sehr spät und am Sonntag morgen ging es mir nicht sehr gut.

Ich hatte, na klar, viel zu viel Alkohol getrunken, aber auch seit Tagen nicht an zu Hause gedacht. Ich hatte @frau_ratte mit den Kindern zurückgelassen, mich wichtig gemacht und nur an mich gedacht, viel zu viel Alkohol getrunken und keine Vorstellung davon, wie es wohl zu Hause ausgesehen haben mag. Ich kam mir ein wenig selbstsüchtig vor und hoffte, dass ich wenigstens genug zu erzählen haben würde, wenn ich nach Hause kam. Aber es lag ja noch die Freiburg-Reise vor mir und dieser idle Sonntag in Berlin war ein Luxus, den ich mir einfach herausgenommen hatte. Hätte ich vielleicht doch zwischendurch zurück nach Bonn fahren sollen? Ich zögerte den Anruf nach Hause ein wenig hinaus, ich wollte, dass meine Stimme wenigstens ein bisschen normal klänge, aber es war nicht viel zu machen. @frau_ratte hörte wahrscheinlich gleich, wie mein Abend zuvor geendet war, aber sie gab sich Mühe, sich das nicht anmerken zu lassen, was ich aber gleich wieder merkte und allein dafür hätte ich zurück nach Bonn fahren wollen. Dieser Sonntag, der so vertan war, machte mir zu schaffen. Ich hatte keine Lust auf Brandenburger Tor und Berliner Postkarten-Sehenswürdigkeiten und ich hatte einen Kater.

Zum Glück gibt’s @klappstulli und ihre aus 100% großartigen Menschen zusammengesetzte Familie, @horax hatte mir schon am Freitag berichtet, um was für eine tolle Person es sich bei @klappstulli handelt. So schrieb ich sie per DM an und tatsächlich konnte ich sie und ihre Familie besuchen. Und wie wunderbar wurde ich empfangen, mit Tee und Keksen, und ich versprach gleich beim Betreten ihrer Wohnung, mich nicht in Politik zu verlieren. Die Kinder spielten und wir tranken Tee und ich durfte dem kleinsten Kind immer die selbstgebackenen Kekse reichen. Wir tauschten unsere TL-Bekanntschaften aus und dann redeten wir doch ein wenig über Politik und machten Pläne für Twitteria-Treffen im Rheinland und in Berlin und an jährlich wechselnden Orten. @klappstulli machte uns, also den Kommunarden in Bonn, Komplimente über die KommuneZwoNull und ich erfuhr, dass @moellus sie zum Twittern gebracht hatte und die Namen ihrer Kinder. Wir redeten über @rudelbildung  und ihr Blog und am Ende fuhr ich mit geweitetem Herzen ins Hotel zurück.

Dort angekommen musste ich mich mal langsam auf meinen Termin in Freiburg vorbereiten. Ich sollte dort auf einem Podium zum Thema „Digitale Realitäten an unseren Schulen“ diskutieren. Der Moderator hatte mich vorher per E-Mail kontaktiert und um ein paar Positionen gebeten. Ich hatte ihm ein paar Zeilen geschrieben und versprochen, ihn später noch mal anzurufen. Im Hotel angelangt, tat ich das nun und sprach fast eine Stunde mit ihm. Er fragte mich Dinge und ich antwortete ausschweifend. Dass ich die angstgetriebene Diskussion in der Schule-Digital-Debatte für schädlich halte. Dass ich der Meinung bin, dass das Internet wegen seiner großen Errungenschaften wie Kollaboration, Kopieren und Verändern und Empowerment so erfolgreich geworden ist. Dass die Gefahren nicht zu leugnen seien, aber dass sie einen erheblich zu großen Anteil im Diskurs einnähmen. Dass ich gern auf die positiven Aspekte eingehen würde, dass ich glaube, dass meine Kinder enorm vom Internet profitieren werden und dass wir politische Veränderung dafür brauchen. Ich kabelte abermals nach Bonn und sprach mit @frau_ratte darüber und sie gab mir viele hilfreiche Hinweise und den Rat, das klassische Lehrpersonal nicht zu überfordern.

Am nächsten Morgen checkte ich aus dem Berliner Hotel aus und lief zum Bahnhof. Allryder hatte mir gesagt, dass ich zu Fuß schnell dort sein würde. Erst als ich in den Zug einstieg, die ausgedruckte Fahrkarte mit Sitzplatzreservierung ständig zu Rate ziehend, bemerkte ich, dass die Bundeszentrale für Politische Bildung, die das Panel in Freiburg organisiert hatte, sich nicht lumpen ließ und erster Klasse für mich gebucht hatte. Aber der Zug hatte kein WLAN, so dass ich auf die Versorgung von O2 über die Luft angewiesen war. Es ging so gerade eben mit der Datenverbindung. Hatte ich auf der Hinfahrt nach Berlin noch frei von der Leber weg getwittert und gelesen und mich des Internets gefreut, war ich nun ganz eingeschüchtert von meiner neuen Aufgabe als Bildungsnussi von D64 und der zu erwartenden Diskussion in Freiburg. Immer wieder wälzte ich meine Argumente hin und her und versuchte mir, den Namen von Antje Bostelmann zu merken. Ich legte mir Pläne zurecht und wie das mit der Wagen. und Sitzplatznummer vergass ich jede Sekunde, was ich zuvor noch gedacht hatte. Der Zug schnurrte durch Nebel, der von oben von der Sonne beschienen wurde und es sah ganz wunderbar aus, aber ich guckte nicht so richtig raus, sondern baute mir Eselsbrücken von Bosseln über Bosteln zu Bostelmann, damit ich mich auf sie würde berufen können am Abend, wenn die Kulturpessimisten auch mich einstürzen würden. Hinter Frankfurt blieb der Zug stehen, es gäbe ein Weichenproblem. Ich guckte auf mein ausgedrucktes Ticket. Keine Zugbindung. Ich guckte in mein allwissendes Smartphone, nächste Verbindung von Mannheim nach Freiburg einfach eine Stunde später. Ich vertiefte mich wieder in Argumentationsketten und Eselsbrücken.

In Freiburg angekommen, lief ich zum Hotel, das man für mich reserviert hatte. Ein kurzer Weg. Frau Reuter vom Veranstalter rief mich kurz nach halb fünf an, ob alles ok sei, ob ich um fünf da sein würde und so weiter und so. Ich sagte alles ok.

Um fünf war ich am Veranstaltungsort. Ich traf die anderen Podiumsteilnehmer und wir fingen schon mal ein bisschen an mit der Diskussion, so als Übung. Meinrad, der Moderator kam und er machte ein paar verbale Lockerungsübungen mit uns. Frau Reuter teilte uns dann mit, dass nur wenige Besucher*innen gekommen waren, daher stellten wir Stühle zu uns auf die Bühne, so dass alle Besucher*innen mit uns auf dem Podium saßen. Wir wollten eine angenehme Atmosphäre und alle gleich behandeln. @HiBenni, der Schüler*innenvertreter auf dem Podium, war ziemlich jung, aber sehr versiert und reflektiert, ein guter Typ. Ich hatte gleich den Impuls, ihn zu fragen, ob er nicht Interesse hätte, bei D64 mitzumachen und uns in der Bildungsgruppe aus Schüler*innensicht zu unterstützen. Mal gucken, vielleicht hat er ja Lust.

Die Debatte verlief wie befürchtet: Bedenken, Cybermobbing und Kinder, die nicht mehr rückwärts laufen können waren diskussionsbestimmend. Ein Ruf nach der Politik wurde als „zu einfacher Ausweg“ angesehen, man traute mir wohl nicht zu, dass ich nicht mit dem Ruf nach der Politik zu stoppen, sondern ernsthaft die Politik in die Pflicht zu nehmen gedachte. Dass ich mich zu organisieren gedachte. Es wurde auf die Eltern verwiesen, die ihre Kinder mit Smartphones ruhig stellen, damit sie sich nicht um sie zu kümmern brauchen. Mein Einwand, dass wir doch hier über die Schule und deswegen über die Möglichkeiten der Schule diskutierten, wurde als zu einfach beiseite geschoben. Meine Positivbeispiele wurden als Einzelfälle abgetan, weil meine Kinder halt gerade Glück hätten, dass sie engagierte Eltern haben. Mein Einwand, dass aber doch genau das das Gebot der Gerechtigkeit sei, dass die Bildungseinrichtungen, seien es KiTas, Kindergärten oder Schulen, genau dort einspringen müssten, wo minderprivilegierte Kinder abgehängt werden, wurde beiseite gewischt, denn schließlich verabredeten sich Schüler*innen in geschlossenen WhatsApp-Gruppen, um sich gegenseitig zu mobben, ob ich davon schon mal gehört habe. Der Schüler*innenvertreter wandte völlig zu recht ein, das sei doch ein uraltes Phänomen, früher habe man die armen Würstchen halt hinter der Hausmeistergarage verprügelt, heute mobbe man sie in WhatsApp-Gruppen, das sei doch eine pädagogische Herausforderung jenseits jeglicher technischer Entwicklung. „Ja, aber was soll ein Lehrer denn da machen?“

Es war die Rede von Zügen, die sich in voller Fahrt befänden, auf die das Lehrpersonal nicht mehr aufspringen könne und ich wand ein, man solle ganz am Anfang, in der KiTa, selber den Zug anfahren und dabei die Kontrolle behalten, aber das ließ man nicht gelten, denn in der KiTa würde man die Kinder gleichsam anfixen mit der Verderbnis Internet und man habe ja keine Handhabe.

Ich wollte gerade „Empowerment der Minderprivilegierten!“ rufen, da war die Zeit um. Auf einem Beistelltisch lag das Machwerk von Manfred Spitzer. Wir hatten wieder die ganze Zeit über Hirnforscher und das Verderben gesprochen. Ich war einigermaßen frustriert und wollte die Diskussion nicht aufhören und flüsterte in die gelichteten Reihen etwas von „Vernetzung, es ist die Vernetzung, die uns empowert“, da mussten wir an die Theke gehen. Ich trank ein Bier und traf @DejanFreiburg. Er ist Lehrer. Und er sagte mir gute Sachen und bestärkte mich. Er hatte zugehört und sagte, dass er die Dinge ähnlich sehe wie ich.

Der Veranstalter hatte uns, die wir als Podiumsteilnehmer eingeladen waren, auch noch zu einem Theaterstück eingeladen, das unmittelbar nach unserer Diskussion stattfand. Ein tolles Stück, es hieß „Past and Present“, glaube ich. Wenn Ihr in Freiburg seid, seht Euch das an, es hat mich sehr beeindruckt, sowohl intellektuell als auch emotional. Es ging um einen Filmemacher aus Bangladesch, der einen Dokumentarfilm über sich und seine über den Globus verteilte Familie macht. Über Distanz und Nähe, über Kameras und Gespräche, über Konflikte zwischen den Generationen und die Horizonte der Menschen.

Nach dem Stück ging ich etwas essen und kabelte nach Bonn. Ich hatte nicht einmal Geschenke für die Kinder gekauft, weder in Berlin noch in Freiburg. Dieses Brauhaus, in dem ich aß, verschenkte Lebkuchenherzen. Ich bat um drei, der Mann hinter der Theke gab mir fünf. Ich ging ins Hotel um zu schlafen. Im Smartphone sah ich, dass noch eine Terminempfehlung in den D64-Ticker sollte, die ich kurzerhand einfügte. Ich wollte nach Hause.

Um 9:57 oder so stieg ich in den ICE nach Bonn. Ich wollte nach Hause. In Bonn/Siegburg stieg ich in die Linie 66. Als ich über dem Rhein war, war ich ziemlich erledigt. @frau_ratte war auf der Arbeit, ich holte den Hund und das Auto bei ihr ab. Dann fuhr ich zum Kindergarten, den Kleinen Sohn abzuholen. Dann holte ich den Großen Sohn aus der OGS ab, er hatte einen Freund dabei und sie spielten den ganzen Tag Lego. Abends brachte ich die Söhne ins Bett und habe ihnen Lieder gesungen und der Große Sohn hat gefragt: „Papa, was heißt Gute Nacht auf Französisch?“.

Von Maxim Loick

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2 Kommentare

    1. Wir müssen einen Termin mit @klappstulli, @pramesan und der rheinischen Twitteria einen Termin machen, wo wir alle in Berlin sind. Oder alle im #Rhineland. Dann entzünden wir ein Feuer, über dem ein Spanferkel sich dreht.

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