Willst Du etwa alle aufnehmen?

TL; DR: Ja. Ohne wenn und aber. Organize! Be prepared!

Im Jahr 2015 waren die Grenzen offen wie seit eh und je. Im September oder so gab es dann sehr sehr viele Flüchtende und Angela Merkel hat gesagt, dass wir das schaffen. Das kleine Detail, wie, das hat sie nicht mitgeliefert, aber die Haltung war und ist immer noch richtig. Eine Million oder so kamen, es gab Trains of Hope und viele Menschen haben tonnenweise Hilfsgüter an den Bahnhöfen abgeladen. Ich fand: That’s the spirit! Aber die Freiwilligen wurden allein gelassen. Die großen leistungsfähigen Infrastrukturen, derer Aktivierung es politischen Willens bedarf, wurden nicht unter Strom gesetzt: Bundeswehr, Rotes Kreuz, von mir aus der Katastrophenschutz. Bei jedem mittelprächtigen Rheinhochwasser läuft das hier in der Rheinaustraße von Beuel aber sowas von wie geschmiert, da hat’s definierte Prozesse, vorbereitete Materiallager inkl. regelmäßiger Checks auf Vollständigkeit und Funktionalität. Sowas haben wir doch drauf, hier in Deutschland, in Mitteleuropa, wir halten Ressourcen vor für besondere Fälle – und wenn die eintreten, muss niemand lange überlegen, sondern nur die Hände dorthin tun, wo der Plan sagt. Ich bewundere sowas.

Als die sehr zahlreichen Flüchtenden dann da waren und als die ersten Arschlochstimmen aus der CSU Schließungen aller Art verlangt haben – Grenzen, Balkanroute – und Aufnahmelager und all diesen Shice, hat uns unser Bundestagsabgeordneter Uli Kelber Rede und Antwort gestanden. Ich hab ihn gefragt, was denn der Plan der Regierung sei, ob man denn Zeltstädte aufbauen würde oder überhaupt einen Plan und er konnte leider nichts anderes sagen als: Es gibt keinen Plan B. Es gibt nicht einmal einen Plan A. Das hat mich schockiert, damals im Jahr 2015.

Und heute, 2020? Machste die Timeline auf, Feuer allenthalben.  Man weiß schon gar nicht mehr: Ist das Moria? Die Taiga in Sibirien? Australien? Kalifornien oder der Regenwald? Das Eis an den Polen schmilzt, die Expert*innen sagen schockiert, dass leider ihre Worst-Case-Annahmen die aktuellen klimatischen Entwicklungen am besten getroffen haben. What do you think is going to happen? Werden sich die Leute auf buchstäblich verbrannter Erde einfach zum Sterben hinlegen oder werden sie ins mit plänenfürhochwasserinallendenkbareneskalationsstufenerprobte Rheinland kommen? Und können wir in diesem schönen Rheinland einfach sagen: „Nö! Sterbt!“ – das können wir nicht. Was zeichnet uns aus hier? Wir haben (noch) Zeit und Ressorucen. Wir müssen endlich die Pläne aufstellen, die ich mir schon 2015 gewünscht habe: Was ist zu tun wenn 1 Million, wenn 5 Millionen, wenn 15 Millionen nach Beuel kommen? Und ich meine das erstaunlicherweise weniger friedensbewegt und batikkumbajahisch als mir selber lieb ist (klaro, das auch!), ich verlange das tatsächlich aus vollkommen ökonomischen und ordnungspolitischen Gründen. Wir werden es uns nicht leisten können, unsere Energie und die Energie der Geflüchteten zu verschwenden, indem wir Mauern, Grenzen und künstliche Konflikte pflegen. Wir brauchen im Angesicht der klimatischen Umwälzungen alle Energie, um uns konstruktiv zu organisieren.

Now ein kurzer Blick into history: New York zum Beispiel. Millionenmetropole und Herzkammer der westlichen Welt. Selbst wenn die Biberfell-Trapper des 18. und 19. Jahrhunderts 24/7 durchgevögelt hätten, nie im fucking Leben hätten sie bis heute eine Stadt schaffen können wie New York. Da, wo’s richtig groß wird, wo Menschen was schaffen, da kommen ganz ganz viele verschiedene zusammen und machen was. Wie hat New York es zu dieser Bedeutung gebracht? Die haben alle aufgenommen. Einfach alle aufgenommen. Jetzt ist die Geschichte von New York alles andere als konflikt- und gewaltfrei. Aber der Kern ist: alle wurden aufgenommen und durften sich entfalten. Der American Dream (der, wie ich jüngst in einer arte-Doku lernen durfte, seine Wurzeln in Amsterdam hat, aber das müsst Ihr Euch selbst angucken…): Lasst die Leute kommen und lasst sie machen, was sie gut können.

„Willst Du etwa alle aufnehmen?!“, haben mich welche 2015 gefragt, auch aus meiner eigenen schönen Partei. Und ich ärgere mich, dass ich 2015 nur so ganz leise zu mir selbst gesagt habe: „Ja. Ich möchte alle aufnehmen.“ Und ich ärgere mich, dass „ja, ich möchte alle aufnehmen“ nur meine Meinung ist und nicht die meiner Partei. Ich ärgere mich, dass wir das natürlich schaffen würden – egal ob 1 Million, 5 Millionen oder 15 Millionen – aber niemand Pläne dafür schmiedet. Ich ärgere mich, dass das Schmieden solcher Pläne als linke Träumerei diskreditiert wird und dass die ökonomische, soziale und humane Notwendigkeit für genau diese Pläne beiseite gewischt wird. Die ganze Welt brennt literally, und wir schaffen das, aber keine*r macht sich an die Arbeit, das Wie zu definieren.

Deswegen sage ich jetzt hier und auf der Stelle: „NATÜRLICH WILL ICH ALLE AUFNEHMEN, DAS IST DAS GEBOT DER STUNDE UND NUR DIE COUNTRIES WERDEN SICH DURCHSETZEN, DIE ES DRAUF HABEN, ALLE AUFZUNEHMEN, IHR KONSERVATIVEN LOSER!“

Ich sitze im Garten des schönen großen Hauses, das wir seit Februar 2020 bezogen haben. Mein 10jähriges Kind sagt: „Ich finde, wir sollten Geflüchtete aufnehmen, aber ihr sagt, wir hätten keinen Platz, dabei haben wir Platz.“ Und mein 12jähriges Kind kommt in die Küche und macht das Licht aus (obwohl ich noch darin sitze), weil es Strom sparen will. Mein 12jähriges Kind ist Vegetarier, weil es Fleischkonsum den Klimawandel beschleunigt. Die haben Angst und ich kann sie ihnen nicht nehmen. Ich ärgere mich, weil diese großartige Fähigkeit der Menschheit – sich im Vorfeld der Katastrophe zu organisieren und sie damit zu meistern – an dem großen Manko der Menschheit – den Arsch erst hochzukriegen, wenn der eigene weiße Kiesweg vor dem Haus brennt – hängen bleibt. Wir sind doch Menschen, kea! Wir können alles!

Von Maxim Loick

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