Drei Ebenen die Welt zu verbessern

Eine der schönsten und für mich motivierendsten Twitter-Bios hat der höchstanständige und beste @horax geschrieben:

„das leben ist kurz | die welt ist veränderbar!“

Was für ein Satz! Den hat er, wenn ich das richtig erinnere, seit mindestens 2010 da stehen. 2010 wurde der Kleine Sohn geboren, ich kannte noch niemanden bei Twitter und war auch noch nicht in der SPD. Auf der Erwerbstätigkeit habe ich mich aber mit Kolleg*innen gestritten über die Sozis (die ich da schon toll fand). In diesen Diskussionen wurde ich als Phantast abgetan, ein blauäugiges Mäuschen, das in seiner Naivität allen Ernstes an das Gute im Menschen glaubt und die Welt verbessern will. Ich, dieser ziemlich unbedeutende IT-Berater – für wen hältst Du Dich, dass Du die Welt glaubst retten zu können?

Seitdem gucke ich auf meine Hände, von denen ich zum Glück zwei habe, gucke auf meine Füße, von denen ich zum Glück auch zwei habe. Ich freue mich über mein Gehirn, das einige Dinge gut, andere schlecht verarbeiten kann, das manchmal gute Ideen hat und manchmal nicht so gute. Ich benutze meinen Mund durchgängig zum Sprechen*). Ich gucke auf meine Möglichkeiten: Hände, Füße, Hirn und Sprache. Das steht mir zur Verfügung, um die Welt zu verbessern.

Als ich die ersten paar Tweets abgesetzt hatte und eines Tages dieser mir unbekannte, aber deswegen nicht weniger bewunderte @horax anfing, mir zu folgen mit seiner o. g. Bio, da dachte ich: Es macht einen Unterschied. Einer will hören, was ich sage. Ist erstmal nur einer, aber einer will’s hören. Meine nicht minder verehrte Frau Mama hat uns Kindern mal gesagt: In der Menge steht immer ein*e Kenner*in. In meiner bescheidenen Wahrnehmung besaß ich genug Chuzpe, in @horax einen Kenner zu sehen – und hey! Der gehörte zu den coolen Typen von nugg.ad, die immer so coole Parties mit #guwosh Hashtag gefeiert haben, das war also nicht irgendeiner!

Oh, was habe ich gelernt seitdem! Dieses Twitter hat mich mit Menschen zusammengebracht, von denen ich so viel gelernt habe! In Sachen Kommunikation, in Sachen Haltung, aber vor allem Fakten, Tatsachen, Erkenntnisse – Dinge, für die man sich früher in Kellern mit dicken Büchern einschließen musste, die so viel Lesezeit beansprucht haben, dass man mangels zwischenmenschlicher Interaktion zum Soziopathen werden musste. Und dann stimmte das am Ende doch wieder nur so ein bisschen. Bei Twitter lernte ich, was Privilegien bedeuten und welche Pflichten mir als Privilegiertem obliegen, ich lernte, was für unterschiedliche Menschen es gibt, wie super die sein können und wie gleich sie am Ende irgendwie alle in ihren Bedürfnissen sind und wie unterschiedlich in ihren Antrieben und Ressourcen – wie unterschiedlich privilegiert. Ich lernte, welche Rolle Emotion und Irrationales spielen und wie irrational gerade die handeln, die sich besonders auf reine Fakten berufen – die eiskalten Entscheider*innen sind mir schon immer besonders lieb gewesen in ihrer verfickt offensichtlichen Unvollkommenheit. Ich danke Twitter auf Knien für die unfassbare Leistung, zumindest für ein paar Jahre Hierarchien überwunden zu haben, für eine Emanzipation, für eine Sprache gesorgt zu haben, die gänzlich frei von inneren Hürden, Verhaltenskodizes und selbstoktruierter Scheinkorrektheit ist. Man schreibt hier über Sachen mit Käse überbacken. Man schreibt hier über #flausch, Rausch und furchtbar menschliche Sachen. Welch eine Leistung! Die geilsten der Geilen geben hier zu: Hab heute keinen Bock, weil ich gestern gesoffen hab. Was ich da höre! Was ich da lerne, immer noch, jeden Tag!

Und ich kann die Welt verbessern! Einer sucht eine Wohnung in London, ich retweete das nur, zehn Minten später hat der wirklich eine Wohnung und bedankt sich bei mir für den Retweet. Das war aber einfach!

Ich schreibe was politisches rein. Keine Reaktion. Ich blogge was und twittere das. Drei Favs – HAA! WELT verBESSERT! Bei gleich DREIEN!

Aber ich wollte ja eigentlich was ganz anderes schreiben: Wie verbessere ich denn jetzt die Welt? Auf welchen Ebenen? Wo setzt man da an? Über die Jahre scheinen sich drei etabliert zu haben, auf denen ich es immer wieder versuche: Wirtschaftlich (also auf Erwerbstätigkeit, da verbringt man ja schon ziemlich viel Zeit), persönlich (also in der Familie und vor allem als Vater/Mutter) und selbstverständlich schlicht parteipolitisch.

Ich reporte mal denen, die mich wahrscheinlich immer noch für ein blauäugiges Mäuschen halten.

Persönlich

Als Kind auf einem Bauernhof im südlichen Westmünsterland aufgewachsen kann ich nicht gerade sagen, dass ich per se progressiven Positionen zugeneigt gewesen wäre. Im Gegenteil, als Jugendlicher habe ich meiner Erinnerung nach ziemlich stramme Besitzstandswahrungsmeinungen vertreten, Veränderung war gefährlich, denn ich hatte eine sehr sehr glückliche und behütete Kindheit, an der etwas zu ändern eigentlich nur Verschlechterung bedeuten konnte. Interessanterweise hat unsere Mutter uns Werte, Empathien, eine fröhliche Offenheit und nicht zuletzt einen gehörigen Schuss Feminismus mitgegeben. Und es ist mein ausdrückliches Privileg, dass ich durch den Hof, durch meine fest zusammenhaltende Familie und die Abgeklärtheit meiner Eltern und Geschwister ziemlich immun bin gegen irrationale Ängste. Selbst in den schwersten Phasen der Existenzangst (2009 lief meine Firma echt scheiße!) hatte ich die Fähigkeit, mich mit dem Gedanken über Wasser zu halten: „Wenn wir hier mit einem kleinen Kind mitten Europa verhungern müssen, wird es einen Skandal geben! Aber von sowas liest man nicht so oft in der Zeitung, also scheint es wohl in den meisten Fällen doch irgendwie ganz gut auszugehen.“ Ein anderer Aspekt meiner Privilegiertheit ist, dass meine Eltern gefeiert haben wie die Kesselflicker, aber am nächsten Tag wurden die Kühe um sechs Uhr morgens gemolken (mein Vater) und die Kinder der ersten Klasse ab viertel vor acht unterrichtet (meine Mutter). Befindlichkeiten haben wir als Familie insgesamt lieber als Partygag verstanden als uns davon treiben zu lassen. „Außen weich und innen hart“ fanden meine Schwester Julia und ich im Alter von 16/18 Jahren in Umkehrung der Männlichkeitsideale von Hollywoodfilmen lustig, meinten das aber ganz tief drinnen irgendwie ernst. Das Jammern ist uns als Kulturtechnik nie vermittelt worden.

Auf der persönlichen Ebene wünsche mir nichts sehnlicher, als meinen Kindern solche Fähigkeiten verleihen zu können, wie meine Familie sie mir verliehen hat. Wenn meine Kinder einfach nie Angst haben, weil sie sich immer auf uns (@frau_ratte und mich) verlassen können, wenn sie sich ihrer selbst immer sicher genug sein können, um gefahrlos sich selbst zu vergessen und ihren Geist auf Sachverhalte zu richten vermögen, die nicht unmittelbar sie selbst betreffen, dann werden wir auf persönlicher Ebene die Welt verbessert haben. Vielleicht tragen diese tollen Kinder das dann weiter.

Wirtschaftlich / auf Arbeit

Im Jahr 2008 oder so war es, nachdem der Große Sohn ein paar Monate alt war und mich das ganze UngeübtMitKindDingsi völlig überfordert hat, fing ich an, völlig unprofessionell auf der Arbeit davon zu erzählen, wie die letzte Nacht war, wie unsicher ich war, was ich alles nicht kann. Lange vor dem Kontrollverlust, den Social Media uns allen bescheren sollte, war ich bereit dafür. Ich habe einfach alles erzählt. Aufgrund unmittelbarer Erfolgserlebnisse an dieser Stelle war eigentlich da schon klar, dass ich ein wehrloses Opfer Social Medias werden würde. Die Kolleg*innen wussten, warum ich scheiße aussah mit Ringen unter den Augen. Sie haben mir vielleicht manche Dünnhäutigkeit nachgesehen, die ohne Hintergrundwissen als ungehörig hätte gelten müssen. In jenen Tagen habe ich vor mich hinformuliert: „Aufgrund der wenigen mir zur Verfügung stehenden Informationen über Dich muss ich Dich leider scheiße finden.“ Offenheit, ein bisschen Vertrauen und das Fallenlassen überkommenen Scheinprofessionalitätsgehabes vermitteln denen um mich herum ein Bild von mir, das sie mich verstehen statt blöd finden macht.

Um materiell handlungsfähig zu bleiben, muss ja ein Studienabbrecher wie ich ziemlich viel Zeit in die Erwerbstätigkeit investieren. Als Konsequenz verbringt man viele Stunden mit Menschen, die man sich nicht unbedingt ausgesucht hätte, ohne dass das heißen muss, dass diese Menschen deswegen blöd wären. Aber Erwerbstätigkeit ist, von der Sinnstiftung und ihrer selbstbewusstseinschaffenden Kraft einmal abgesehen, vor allem auch ein natürliches Durchbrechen der persönlichen Filterbubble. Ich habe dort in einer Weise Einfluss auf Menschen (und werde von denen beeinflusst), die nicht meinem Gusto entsprechen müssen – was  als eine große Chance gesehen werden muss. Mein Handeln und Sprechen hat bei denen eine ungleich wichtigere Bedeutung, weil hier ich hier Menschen erreiche, die nicht per se meiner Selbst entsprechen. Wenn ich auf der Erwerbstätigkeit plötzlich alle Anforderungsdokumente im generischen Femininum verfasse, dann konfrontiere ich Menschen damit, die im Zweifel noch nie etwas davon gehört haben. Und ich diskutiere nicht mit denen, sondern ich juble es ihnen unter. Ich schaffe hier das kraftvollste Moment, das man für die Verbesserung der Welt überhaupt schaffen kann: Selbstverständlichkeit. Wer Fragen dazu hat, kriegt sie beantwortet. Aber die meisten fragen nicht, sondern übernehmen einfach aus Selbstverständlichkeit den Sprachgebrauch**). Es entsteht eine kraftvolle Veränderung, die mich staunen macht.

Nun habe ich seit den Anfängen meiner Erwerbstätigkeit, in der ich als externer Berater in Konzernen herumlaufe, noch zwei neue Firmen mitgegründet. Die eine ist das Start-up (wink! wink! trackle.de! kauft, Leute, kauft!), das ich mit @frau_ratte am Laufen habe, die andere ist Calliope. Als ordentlicher Progressiver, wenngleich nicht geborener, sondern gelernter Linker, s. o., stelle ich mir die Frage: Was sind Deine Prinzipen wert, wenn Du plötzlich selbst in der Position des Arbeitgebers bist? Bist Du noch für den Mindestlohn, wenn sich herausstellen sollte, dass Dein Businesscase nicht mehr funktioniert, wenn Du Deine Leute bezahlen musst? Werde ich der Gier widerstehen? Die Frage, wie ich handeln werde, wenn es meiner Firma, meiner Existenz, der Existenz meiner Kinder an den Kragen geht, muss trotz der Erfahrungen aus dem Jahre 2009 (s.o.) weiter offen bleiben. Aber bis dato bin ich guter Dinge, dass ich meine Haltung werde halten können. Im Gegenteil habe ich großen Bock, auf wirtschaftlicher Ebene nachweisen zu können, dass man einen Laden betreiben kann, der mich, meine Familie und alle, die mit uns in dem Laden arbeiten, erfüllt, ernährt und vielleicht sogar ein Stückchen glücklich macht. Das hat mit Geld zu tun, ganz klar. Das hat aber auch mit guter Zeit zu tun, die man verbringt. Das hat mit Sinnstiftung zu tun.

Wenn ich mal auf das Thema „Verbesserung der Welt“ zurückkommen darf: Ganz viele große Gründer*innen haben als ihre Triebfeder genau das angegeben: Verbesserung der Welt. Ich dachte immer by default, man müsse sich parteipolitisch einsetzen, um die Welt zu verbessern, aber das Schaffen von Fakten, Möglichkeiten und schlicht Kraft, die mit einer erfolgreichen Gründung eines Wirtschaftsunternehmens einhergehen, sind starke Faktoren, die dafür sprechen, die Welt durch Wirtschaftskraft zu verbessern.

Parteipolitisch

Aber natürlich muss man sich parteipolitisch engagieren und einbringen! Alle Ideen, die ich im persönlichen oder wirtschaftlichen Bereich entwickle, jede Veränderung bedarf der breiten Anerkennung und schließlich einer Gesetzeskraft entwickelnden Legitimierung. Und das geht nur über die seit 1949 etablierten und bewährten Mechanismen. Es ist Teil meiner Verantwortung als Mensch, der eine glückliche Kindheit erleben durfte, die Verbesserungen, die ich für mich und die mir unmittelbar Verbundenen erreicht habe, allen mit weniger glücklichen Biographien ebenfalls zu ermöglichen, und zwar einklagbar! Warum, ist das etwa Selbstlosigkeit, mein speziell edles Gemüt? Keineswegs. Ein Leben für mich selbst und ein Leben für meine Kinder in einer Gesellschaft, der es leicht fällt, freundlich, offen und belastbar zu sein, ist nur möglich, wenn wir eine breite Zufriedenheit herstellen. Parteidemokratisch erzielte Ergebnisse sind das sicherste und belastbarste, was wir erreichen können (wohlwissend, wie fragil selbst diese sind!). Auch wenn Ihr nicht am Infostand stehen mögt, um Euch für Peer Steinbrück beschimpfen zu lassen, solltet Ihr dennoch die demokratischen Parteien (am besten natürlich die SPD!) stützen, indem Ihr eintretet, und sei es nur, um zu signalisieren, dass es zu Despotie, Tyrannei oder Ochlokratie eine erprobte und nachgewiesenermaßen erfolgreiche Alternative gibt. Es ist sehr sehr wichtig, dass man sich äußert, aber es ist mindestens genauso wichtig, dass man sich bekennt und einsteht. Es gibt keinen Grund, Angst zu haben, für Verfehlungen Sigmar Gabriels verantwortlich gemacht zu werden. Viel größer ist die Gefahr, dass man sich unverstanden fühlt, wenn man sich nicht in einem verbindlichen Rahmen artikuliert. Viel größer ist die Gefahr, dass man zu jemandem wird, der/die postfaktisch mit komischen Pegida-Ärschen mitrennt, wenn man sich seines politischen Fundaments unsicher ist. Parteipolitisches Engagement ist tägliche Auseinandersetzung und tägliche Überprüfung der eigenen Haltung, was zumindest mich erstens ziemlich informiert hält und mir zweitens für die beiden oben genannten Bereiche eine Menge Widerstandsfähigkeit verleiht.

Die Welt ist veränderbar. Lasst uns die Ärmel aufkrempeln und auf allen Ebenen mit beiden Händen tief hineingreifen ins Leben, es ist so wunderbar, wenn man etwas Freundlichkeit, etwas Witz und eine ambitionierte Mission zusammen nimmt. Es gibt nur dann etwas zu verlieren, wenn wir nichts tun, hingegen gibt es nur etwas zu gewinnen, wenn wir auch nur den kleinsten Finger rühren. In der Bio von @horax steht, was geht, in meiner, für wen.

 

 

*) Ich nehme das mal als Generaldingsi für Sprechen, Bloggen, Twittern, mich äußern, kapierse, ne?

**) Jemand auf Arbeit hat mal gefragt, was denn mit den männlichen Zustellern sei, wenn wir immer von Zustellerinnen sprächen. Es war mir ein besonderer Genuss, den Satz „Männliche Kolleginnen sind selbstverständlich immer mitgemeint.“ fallen zu lassen.

Von Maxim Loick

Folgt mir auf Twitter: @Pausanias oder bei Google+: Maxim Loick

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert