Ich habe mich geirrt, Peer Steinbrück!

Was habe ich mich geärgert. Peer Steinbrück performt seit Wochen wie eine Maschine, glänzende Auftritte vor Millionen im Kanzlerduell und in der Wahlarena. Spitzenmäßiger Auftritt bei Tilo Jung. Unsere Themen pointiert rübergebracht, glaubwürdiger Kandidat mit einem Masterplan.

Dann der Finger. Vorgestern Abend musste ich deswegen früher ins Bett gehen. Der Pannenpeer war wieder auferstanden. Unbeherrscht zeigt er den Leuten den Mittelfinger. Das SZ-Fotointerview war noch nicht einmal erschienen und die TL war schon wieder in heller Aufregung. Der Pannenpeer reißt seine schönen Erfolge der letzten Wochen mit dem Arsch wieder ein. Dachte ich.

Gestern tat sich überraschendes. Ich hatte vermutet, dass sich die mühsam hinter uns Versammelten enttäuscht bis sarkastisch von uns abwenden würden – aber die meisten sind geblieben. „Authentisch“, sagten da welche. Mir war das ganze da immer noch sehr peinlich. „Hat er doch recht“, munkelte es an der einen oder anderen Stelle. „Mag sein“, antwortete ich, „aber wie oft muss Herr Steinbrück noch aus dem Zusammenhang gerissen werden, bis er merkt, dass die das einfach immer wieder tun werden? Wie wirkt dieses Foto ohne den eigentlichen Kontext? Unsouverän! Dünnhäutig! Wie, glaubt er, sehen wir einen derart dünnhäutigen Mann in der Rolle des Bundeskanzlers, wenn es um harte  internationale Verhandlungen geht?“ Ich hatte das Bild des Pannenpeers derart verinnerlicht, dass ich es beinahe widerstandslos hingenommen hätte.

Dann habe ich alle Bilder der Fotostrecke gesehen, mit den entsprechenden Fragen darunter. „Also im Zusammenhang ist das Bild gleich etwas weniger schrecklich“, konnte ich feststellen. Aber das Bild stand auf dem Titel des SZ-Magazins, alleine, ohne die anderen Bilder, obszöne Geste in obszöner Größe. Nicht im Zusammenhang. Ein Bild, das bei jeder Gelegenheit gegen uns verwendet werden wird. Ich ärgerte mich immer noch, aber viele um mich sagten schon: „Unpassend vielleicht, aber immer noch besser als eine untätige Merkel.“

Wie kann Steinbrück nur so doof sein? Wie kann der unsere guten Konzepte und Positionen nur so leichtfertig in den Müll werfen? Warum muss ich jetzt wieder in die Defensive, wo wir endlich Punkt für Punkt darlegen konnten, warum wir die bessere Politik auf der Pfanne haben, die Leute haben uns endlich zugehört, sie waren bereit, über politische Inhalte zu sprechen, wir waren auf der Gewinnerstraße, denn die völlig ausgehöhlte CDU hat nichts als zwei riesige leere Hände am Berliner Hauptbahnhof, wenn die Leute unsere Inhalte hören wollen, gewinnen wir die Wahl! Warum bietet Peer jenen, denen es nie um Inhalte gegangen ist, eine derart offene Flanke?

Der Schlüssel liegt im Adressaten. Wem zeigt unser Kandidat da den Finger? Dem Wähler? Nein, die Antwort steht unten drunter. Er zeigt den Finger jenen, die das Bild des Pannenpeers konstruiert haben. Er zeigt jenen den Finger, die wissentlich von Pinot Grigio schreiben, obwohl sie über 6,8 Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor schreiben sollten. Der Finger gilt jenen, die wie das letzte Boulevardschundblatt vom Peerlusconi schreiben statt von den Machenschaften des eigentlichen Missetäters Berlusconi. Der Finger gilt jenen, die lieber schale Wortspiele wie Problempeer für eine kleine Auflagensteigerung erfinden statt darüber zu berichten, wie die Regierungskoalition Maßnahmen zur Finanzmarktregulierung, die Energiewende und Transparenzregeln für Abgeordnete blockiert. Der Finger gilt jenen, die Philipp Rösler derart unterirdische Fragen stellen, dass der diese völlig zurecht nicht beantwortet, der Finger ist an die gerichtet, die meinen mit dem Abdruck dieses von Philipp Rösler nicht gegebenen Interviews noch punkten zu können. Der Finger gilt jenen, die der Politikverdrossenheit Vorschub leisten, indem sie Politik auf Gesten und Phrasen reduzieren – interessant ist dabei, dass niemand mehr von „Phrasen“ oder „Austauschbarkeit“ oder „weit weg von den Menschen“ gesprochen hat, wenn sie/er dem Kandidaten mal direkt zuhören konnte.

Der Finger gilt jenen, die sich mit der Reife von Vierjährigen giggelnd die Hände reiben, wenn sie einen Kanzlerkandidaten mit obszöner Geste auf ihr Titelblatt drucken.

Das Bild von Peer Steinbrück mit dem Stinkefinger wird sich weiter verselbstständigen. Aber der Ursprung des Bildes ist ein mutiger und berechtigter. Ich habe mich geirrt, ich habe mich zu willfährig in den Chor der Unkenrufer eingereiht und habe allzu bereitwillig die Integrität von Peer Steinbrück angezweifelt.

Der Mann hat tatsächlich einen Masterplan und er hat allen, die ihm das absprechen und ihn aus politischem Kalkül oder zur Auflagensteigerung auf einen Dummerjan reduzieren wollen, eine deutliche Botschaft gesendet.

Nach dieser Erkenntnis nun also schnell unter die Dusche und ab an den Infostand, ich muss das ganz vielen erzählen!

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Politik, SPD

Von Maxim Loick

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2 Kommentare

  1. Mäx, ich hatte gestern schon WP auf und wollte was Texten dazu, dann aber wieder zu gemacht, weil zu indifferent und wütend im Kopp, das da oben ist pures Gold, der Infostand darf sich freuen, grandios!

  2. Sehr guter Artikel. Ja, nach längerem Nachdenken bin ich auch fast der Meinung, warum sollte der Mittelfinger schaden. Aber nur fast.
    Ich kann mich dennoch nicht der Vermutung erwehren, dass eine Medienkampagne hinter der Sache steckt. Nicht nur CDU- und FDP-Sympathisanten lehnen eine groKo ab. Somit freuen sich zumindest FAZ und Konsorten über die Vorlage:
    SPD stutzen, ein paar Wähler zur FDP treiben und Tschüss Regierungsverantwortung SPD. Ganz zu schweigen von dem miserablen, unmenschlichen und spießerhaften journalistischen Verhalten, was die SZ hier abgibt

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