Ach, ey!

Leider haben wir mit der SPD gestern die Bundestagswahl verloren. Es gibt auch andere, die noch mehr verloren haben als wir, aber das interessiert mich gerade nicht. Ich schreib mal bisschen ungefiltert auf, was mir gerade so durch den Kopf geht (ist ja schließlich ’n Blog hier):

Was mir im Wahlkampf Spaß gemacht hat, war unser Regierungsprogramm, in den vielen Diskussionen on- und offline habe ich gemerkt, wie gut unsere Positionen sind, sie halten auch heftigstem Gegenwind locker stand. An einigen Stellen dachte ich, ich hätte mich weit aus dem Fenster gelehnt, aber nachdem ich von mir vollmundig verkündetes noch einmal geprüft hatte, stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass ich recht hatte. Ich finde, dass dieses Regierungsprogramm die Basis unserer weiteren Arbeit sein muss.

Was ich gelernt habe: Es kommt auf die Kampagne an. Ich habe immer gedacht, dass die Kampagne nur das Oberflächengewäsch ist – und das war mein großer Trugschluss. Die Kampagne muss zwingend aus unseren Inhalten bestehen – und die müssen von frischen Gesichtern transportiert werden. Die Kampagne darf eben gerade KEIN Gewäsch sein.

Was mich genervt hat, war dieses ewige Koalitionsaussagenspielchen vor der Wahl. Ich finde, wir müssen den Leuten unsere Positionen vermitteln und wir müssen ihnen vermitteln, dass sie unsere Positionen wählen. Wir müssen ihnen klar machen, dass nach der Wahl Koalitionsverhandlungen geführt werden auf Basis dieser Positionen und dass die SPD in allen Koalitionsverhandlungen mit aller Kraft versuchen wird, möglichst viele unserer Positionen in größtmöglichem Umfang durchzusetzen.

Große Koalition oder rot-rot-grün? Ganz ehrlich, wenn ich es mir aussuchen dürfte, würde ich gern in die Opposition gehen. Die große Koalition hat für mich als Sozi den Nachteil, dass die SPD darunter wahrscheinlich zerbräche, aber auch ohne parteipolitisches Kalkül halte ich die große Koalition für schlecht, weil die Opposition im Bundestag dann derart schwach wäre, dass man auch gleich ein Kaiserreich ausrufen könnte. Und rot-rot-grün? Das wurde von uns vor der Wahl ausgeschlossen. Ich persönlich finde ja viele Positionen der Linken sehr gut und vielleicht täte der Linken etwas Regierungsverantwortung mal ganz gut, damit die mal aufhören, ständig ihre Maximalforderungen zu stellen, die keinem Realitätscheck standhalten würden. Möglicherweise hat @Nico recht, und wir sollten unsere gekränkte Eitelkeit wegen Oskar Lafontaine und der WASG mal überwinden. Aber im Moment finde ich die Option, eine starke Opposition anzuführen und im Bundesrat mit rot-rot-grünen Mehrheiten agieren zu können deutlich attraktiver. Aber dürfen wir als SPD es uns so einfach machen? Das hieße ja, vier Jahre politische Gestaltung abschenken an völligen Stillstand und an ein Leben von der Substanz – und es ist m. E. höchst fraglich, ob die Substanz für vier Jahre reicht.

Agenda 2010. Wir kommen als SPD nicht drum herum, endlich unseren Frieden mit der Agenda 2010 zu machen. Ich möchte erstmal klargestellt haben, dass die SPD 2003 die Agenda 2010 eben nicht heimlich und hintenrum einführt hat, sondern dass sie diese Reformen in ihrem Wahlprogramm 2002 angekündigt hat und dass sie dafür 2002 gewählt worden ist. Ich möchte, dass sich jedeR BürgerIn erst einmal selbst darüber im Klaren ist, was sie/er 2002 noch alles für gut und richtig gehalten hat und wie seine/ihre Position heute dazu ist. Ich möchte, dass sich alle, die die SPD 2002 gewählt haben, eingestehen, dass sie damals das Konzept „Fördern und Fordern“ für richtig gehalten haben. Ich möchte ausserdem, dass die SPD klarstellt, welche Punkte der Agenda 2010 sich positiv ausgewirkt haben.  Ich möchte, dass die SPD klarstellt, welche Punkte sich negativ ausgewirkt haben. Ich möchte, dass die SPD klarstellt, was ihre Korrekturen an der Aganda 2010 sein sollen – ich finde übrigens, dass das Regierungsprogramm 2013 das eigentlich immanent bereits leistet, aber ich finde, das muss ganz unmissverständlich von unserem Spitzenpersonal kommuniziert werden. Das ist bisher nicht passiert und ich finde, das wäre die Aufgabe von Frank Walter Steinmeier nach der krachenden Niederlage 2009 gewesen.

Unser Spitzenpersonal. Ich finde, dass Peer Steinbrück der beste Kanzler wäre, den wir derzeit in Sicht haben. Ich finde auch, dass Peer Steinbrück persönlich einen gar nicht so schlechten Wahlkampf gemacht hat, auch wenn so ein Stinkefinger am Infostand eine sagenwirmal gewisse Herausforderung darstellt. Ich finde es völlig daneben, wie tölpelhaft sich Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel verhalten haben. Drei stehen vorne, wer als letzter „ich nicht!“ ruft, muss Kanzlerkandidat werden. Sowas unwürdiges! Es gab keine Sprachregelung für die zu erwartenden Spitzen gegen Peers Nebeneinkünfte, wie Kinder, die Schokolade klauen, hat man gedacht, es würde vielleicht nicht auffallen. Im gesamten Wahlkampf hat Sigmar Gabriel vor allem sich selbst inszeniert und dabei Peer Steinbrück immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen. Ich finde, Steinmeier und Gabriel sollten einen neuen Job kriegen (und #spülerAusräumenToDeath hat der junge Vater auch noch nicht getwittert). Ich finde, wir sollten mehr SPD-Frauen in die erste Reihe stellen, Hannelore Kraft, Malu Dreyer und Manuela Schwesig. Ich finde, wir sollten integeren Leuten wie Uli Kelber und Lars Klingbeil mehr Gewicht geben.

Ich finde ausserdem, dass Henning Tillmann recht hat, dass uns die übergeordnete Vision abhanden gekommen ist. Im Hamburger Programm von 2007 haben wir die mal formuliert. Auf unserer Fahne steht „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“, mit Ausrufezeichen. Die frühen SozialdemokratInnen haben dafür gekämpft, dass Unterprivilegierte in die Lage versetzt wurden, Privilegien überhaupt erst einfordern zu können, Stichwort Bildung. Die SozialdemokratInnen haben dafür gekämpft, dass jedeR frei ist, ihr/sein Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Zuletzt sah ich mich als Sozi immer wieder dem Vorwurf des Staatspaternalismus ausgesetzt, dabei sind es SozialdemokratInnen gewesen, die die Freiheit des/der Einzelnen ermöglicht haben. Ich finde, die SPD sollte aufhören, sich am linken Lager abzuarbeiten und stattdessen den Menschen klarmachen, dass uns konservative Geisteshaltungen ängstlich und handlungsunfähig machen. Die SPD sollte den Menschen klarmachen, dass sie mitmachen können und dass sie mit dieser Demokratie alle Mittel in der Hand haben, wildgewordene Finanzmärkte oder enthemmte Geheimdienste wieder in den Dienst der Bevölkerung zu stellen. Das und nichts weniger ist mein Anspruch an die SPD und ich bin bei denen Mitglied, um es ihnen als einer von ihnen zu sagen.

Von Maxim Loick

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5 Kommentare

  1. Frau Merkel hat einen Pyrrhussieg eingefahren.

    Die Strategie um mit schwarz/gelb weiter zu regieren ist nicht aufgegangen, um es mal genau zu sagen… wären auch nur 108,000 Leute (von der CDU) bei der FDP geblieben, dann hätten wir jetzt 4 weitere Jahre schwarz/gelb mit Absoluter Mehrheit. Aber die FDP ist dank einer gierigen CDU unter die Schwarze Dampfwalze geraten.

    Jetzt steht Frau Merkel vor der großen Frage… mit wem regieren ?

    Die SPD hat nach der großen Koalition 2009 11% verloren.
    Die FDP als Juniorpartner der CDU jetzt 2013 auch circa 10% verloren.

    Wer will überhaupt noch mit der CDU regieren, und dann 2017 erneut ~10% verlieren ?

    Die SPD steht endgültig am Scheidepunkt Ihrer eigenen hohlen Politik.
    Rot-Rot-Grün, oder doch Juniorpartner und damit Wahlverlierer 2017?

    Oder wenn nichts zu einer Lösung führt, vielleicht schon Wahlverlierer 2013 bei Neuwahlen ?

    Politisch ist das ein Absoluter hochgenuss was da gerade abgeht, ich bin im höchsten Maße begeistert

    Wenn die SPD die nächsten 4 Jahre nichts von Ihrem Programm umsetzt (und das können die ja besonders gut) in welcher Konstellation auch immer, dann sind sie definitiv weg vom Fenster.
    Wenn sie es schaffen trotz Schwarz-Rot erkenne ich da schon einen positiven Trend.

    Selbes gilt für die Grünen, die gefahr laufen bei Schwarz-Grün 2017 nach der FDP als nächste in der APO zu landen.

    Was auch immer passieren mag, die Bundesrepublik Deutschland wird die nächsten 4 Jahre wieder Sozialer werden.
    Selbst die CDU hat gestern schon klare Kursänderungen angedeutet.

  2. 10000000 % Deiner Meinung! Insbesondere was Steinmeiers und Gabriels Positionen angeht!
    Wenn es erstmal schief läuft, bekommt man es kaum mehr gerade. Peers Kandidatur begann mit einer Inthronisierung dritter Klasse.
    Es folgte der Ruf nach Beinfreiheit, und dann findet er sich in einer Position wieder, in die er teils gezwungen wurde, weil Gabriel ihm Druck gemacht hat. Dabei hätte er die Chance gehabt, sich von Anfang an unter dem Leitthema Kompetenz und Klartext als Wiedergänger Helmut Schmidts zu positionieren.

  3. Helmut Schmidt und auch Helmut Kohl waren die letzten großen Politiker in Deutschland.
    Reform orientiert, und dem Volke verpfichtet.

    Schröders vernichtender Kurs 2002 hat mich dazu bewegt die Lager zu wechseln nach Links, und da bin ich ganz ehrlich, das wird sich in Zukunft nicht ändern sofern man sich nicht langsam zur Sozialdemokratischen Politik zurück besinnt.

    Die Zeiten sind vobei wo man „Die Linke“ Links liegen lässt. Vertragt euch verdammt nochmal.

    Noch ein kleines Zitat von Brecht :

    Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an,
    und der Arme sagte bleich: ‚Wär ich nicht arm wärst du nicht reich.‘

  4. Wie schön, dass auch ein SPD-Mitglied erkennt, welch verheerende Nummer Siggi Pop da geritten hat. Man kann die Nehmer-Qualitäten von Steinbrück nur bewundern. Ich hätte an seiner Stelle spätestens nach der Forderung Gabriels nach einem Tempolimit (einzige Begründung: „Die anderen machen es ja auch“ Dazu ein Hinweis: Das einzige Land innerhalb der EU mit einer florierenden Autoindustrie ist Deutschland) meine Kandidatur aufgekündigt und Gabriels Kopf auf einem Silbertablett gefordert.

  5. Ich bedaure ebenfalls diese ungünstigen Mehrheitsverhältnisse zur Bundestagswahl 2013 und hätte mir ein besseres Abschneiden der SPD gewünscht. Man hat es Peer Steinbrück wirklich zu Beginn sehr schwer gemacht. Da war die Presse, die immer wieder alle „Fettnäpfchen“ aufbauschte. Die Medien und auch Frau Merkel konnten gar nicht genug vor Rot-Rot-Grün warnen, obwohl die SPD dies immer wieder ausschloss. Auch die ständigen Wahlprognosen nerven und demotivieren viele Menschen überhaupt zur Wahl zu gehen oder sich in den Wahlkampf einzubringen, „da sowieso schon alles entschieden ist“.
    Als SPD-Mitglied befürworte ich auch die Oppositions-Rolle statt der großen Koalition. Von Rot-Rot-Grün halte ich nicht so viel, da diese Modelle (mitregieren und tolerieren) in Sachsen-Anhalt auf Landesebene gescheitert sind. Die genauen Gründe kenne ich nicht. Es hat in erster Linie aber weniger mit Personen zu tun. Die Erfahrungen zeigen, dass immer wenn unpopuläre Maßnahmen anstanden, die Linken sich verweigert haben.
    Ein großes Problem ist die Nicht-Wählerschaft, die meiner Meinung auch teilweise durch die Medien begünstigt wird. Da werden Dinge hochgespielt und aus dem Zusammenhang gerissen. Leider hat die SPD kein richtiges Sprachrohr.
    Hannelore Kraft kann ich mir aber auch als gute Kanzlerin in 4 Jahren vorstellen.
    Nun müssen wir aber erst mal aus dieser schwierigen politischen Situation herauskommen – aber wie?

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