Wahlberechtigtenbeschimpfung

Wir haben einen Herrn, heißblütig, toll, auf Bohnen sehr erpicht, ein brummig alter Kauz, ein bisschen taub: Herr Demos von der Pnyx.

(Aristophanes, „Die Ritter„, 424 v. Chr.)

Wenn man böse wird, muss man es eigentlich gleich verbloggen. Was hätte Adorno nur dazu gesagt, dass ich durch zwischenzeitliches Kinderhüten, kochen, Küche aufräumen und Erwerbstätigkeit nachgehen wieder milder gestimmt bin, obwohl sich an den Umständen nichts geändert hat?

Was habe ich in die TL gewettert (s. hier, hier, hier, hier, hier und hier), über diese 15.000, die sich an die Seite von Rechtsradikalen auf die Straßen von Dresden stellen und diffusen Unsinn über eine angebliche Islamisierung Europas daherfaseln. Die keine Nazis sein wollen, sich aber mit ebensolchen gemein machen. Wenn Ihr Euch zu denen dazu stellt, dann werdet Ihr als Nazis wahrgenommen. Stellt Euch von denen weg. Wenn Ihr bei denen mitlauft und deren Unsinn lauthals in die Straßen brüllt, dann haben wir das Recht, Euch als Rechte zu beschimpfen. Dann seid Ihr Rechte. Geht von den Rechten weg. Hört auf, rechte Hetze zu verbreiten. Erzählt uns nichts von „Ängsten“, immer habt Ihr Angst vor irgendwas. Ich glaube, Ihr habt in Wirklichkeit gar keine Angst. Ihr seid nur unzufrieden. Jahrelang habt Ihr geglaubt, dass Ihr mit der Ableistung Eurer Erwerbstätigkeit Eure Pflicht als Mitglieder einer demokratischen Wertegemeinschaft, dass Ihr gleichsam als Leistungsträger der Gesellschaft, Euer Soll erfüllt habt und mit einer Flasche Bier oder einem Rotwein auf die Couch sinken dürft und Eurem Frust über Euer in Wirklichkeit unerfülltes Leben dadurch Luft machen dürft, dass Ihr die Nachrichten in der Tagesschau nicht mehr kapiert.

Ihr ruft, Ihr wäret das Volk. Dann kommt bitte Euren Pflichten als Volk nach, denn in einer Demokratie ist das Volk der Souverän, und das heißt Arbeit, verdammte Axt. Es ist Eure Pflicht als Volk die Konflikte zu durchschauen. Jaja!, das ist anstrengend und kompliziert, da sind keine schnellen Erfolge zu feiern, da muss man schon dran bleiben. Es reicht nicht, Dinge nicht zu kapieren und dann nicht wählen zu gehen. Es muss Euch Ansporn sein, Dinge zu kapieren, damit Ihr darüber entscheiden könnt. Es reicht nicht, die Politiker™ zu verteufeln, denn die sind – haha! Demokratie! – welche von Euch, von uns.

Es reicht nicht, die Medien als systemgesteuert zu bezeichnen, nur weil Ihr nicht versteht, was da drin steht. Weil Ihr es nicht versteht, behauptet Ihr, es sei falsch. Ihr seid noch schlimmer als der Herr Demos von der Pnyx. Ihr geht hin und sucht Euch das als richtig aus, was Ihr zu verstehen glaubt, weil es so einfach ist, dass man es mit einer Flasche Bier in der Hand, der Feierabend hat gerade begonnen, ohne viel Nachdenken, für einleuchtend halten kann. Ihr habt keine Angst, Ihr seid faul. Ihr geht nicht zur Wahl und denkt, damit hättet Ihr einen wichtigen Beitrag geleistet, sollen die Shice-Politiker doch zusehen, wie sie damit zurecht kommen, wenn Ihr nicht mehr mitmacht. Dabei habt Ihr nur keine Lust, 160 Seiten Wahlprogramm zu lesen und zu verstehen. Euer Problem ist nicht Angst vor schlimmen Muslimen, Euer Problem ist Eure Ignoranz und Faulheit. Einfach muss es sein! Schließlich habt Ihr ja schon den ganzen Tag gearbeitet! und dann auch noch die Kinder ins Bett gebracht!

Ihr Thore! Am Ende geht es doch gar nicht um die Politiker, sondern um Euch und uns und um Eure und meine Kinder! Wenn Euch die Politiker nicht gefallen, habt Ihr hier in dieser Demokratie einerseits die fantastische Möglichkeit, es selbst besser zu machen. Aber andererseits müsst Ihr es sogar besser machen.

Warum tut Ihr das nicht? Weil Ihr beschimpft werden könntet. Von Leuten wie Euch. Weil Ihr falsche Entscheidungen treffen könntet, was Leute wie Ihr Euch selbst nicht zugestehen würden, weil Ihr seit Jahren aus Eurer komfortablen Lage heraus Dinge in einer derartigen Lautstärke geschrien habt, dass Ihr Euch nicht mehr traut, sie zu relativieren. Weil Ihr insgeheim wisst, was für einen Shice Ihr da brüllt. Aber wegen des Gebrülls könnt Ihr nicht mehr zurück und plötzlich wird jedes gute Argument gefährlich, denn es führt Euch vor Augen, wie falsch Ihr Euch die ganze Zeit verhalten habt. Das tut weh und wie steht Ihr jetzt da?

Aber zum Glück gibt es ja 14.999 weitere, die mit Euch brüllen, das kann man so lange weitermachen, bis alles kaputt ist, und erst dann wollt Ihr’s nicht gewesen sein. Ich finde, Ihr könntet lieber jetzt schon mal damit anfangen, es am Ende nicht gewesen zu sein. Stellt Euch weg von den Rechten. Hört auf, deren Parolen zu rufen. Hört auf, andere für Eure Unzufriedenheit verantwortlich zu machen. Es sind Eure Köpfe, Eure Hände, das sind Eure Werkzeuge, lasst Euch die nicht von Rechten führen. Seid freundlich, Ihr könnt das!, fragt die, über die Ihr dieser Tage hetzt, warum sie hier sind. Fragt nicht die, die sich ganz einfache Antworten auf diese Frage frei ausdenken, fragt die Flüchtlinge, die Migranten, die Zugezogenen selbst. Fragt sie, warum sie alles zurückgelassen haben und hört ihnen nur fünf Minuten zu. Fragt sie nach ihren Fähigkeiten. Schenkt ihnen ein Ohr, es wird Euch mindestens genauso viel nützen wie ihnen. Und es wird uns allen nützen.

Hört auf zu marschieren, setzt Euch hin. Nehmt die Hände aus der Luft. Ihr habt keine Angst. Ihr habt nur keine Ahnung, das könnt Ihr ändern.

 

 

Disclaimer: „Demos“ ist das altgriechische Wort für das Volk eines Staates, also, auf heutige Zeit übertragen, für die Wahlberechtigten. Das seid Ihr, Ihr dicken faulen Säcke, die sich alles mögliche einflüstern lassen, sich gleichsam mit leicht verdaulicher Kost bedienen lassen von Hetzern. Am Ende sagt der Demos in Aristophanes Stück: „So töricht war ich, so ein altes Kind?“

Von Maxim Loick

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3 Kommentare

  1. Hach, so sehr ich dem Artikel im allgemeinen zustimme, so möchte ich doch ein paar kleine Anmerkungen machen.

    1. Warum gehen eigentlich alle davon aus, dass dort nur Nichtwähler anzutreffen sind? Tragen die Schilder mit sich rum, auf denen das draufsteht? Oder schließt du das daraus, weil die Leute mit den etablierten Parteien unzufrieden sind? Zweiteres bin ich auch und ich gehe dennoch wählen. Ich habe meine Partei, ganz weit Links von der SPD, gefunden und auch wenn die keine Chance hat in den Bundestag oder in das AGH zu kommen, so ist es die Partei, der ich meine Stimme anvertraue.

    2.) Fehler dürfen durchaus gemacht werden, ich glaube nicht, dass das jemand der Politik zum Vorwurf macht. Was aber das Problem ist, ist, dass diese Fehler nicht rückgängig gemacht werden. Nehmen wie doch zum Beispiel die Hartz4 Sanktionen. Warum sind die immer noch nicht abgeschafft? Und jetzt komm nicht damit, dass die CDU die Regierung führt! Es gibt eine Linke Mehrheit im Bundestag, wenn man die SPD und die Grünen denn noch als Linke Parteien anerkennen möchte. Das Problem ist aber, dass man das gar nicht mehr kann. Die SPD ist zur Wirtschaftspartei geworden und die Grünen pflegen ihr streng bürgerliches Wählerpotential – aber okay, das weicht jetzt vom Thema ab.

    3.) Wer ist dafür verantwortlich, dass die politische Bildung in Deutschland so schlecht ist? Kann man da wirklich einfach hingehen und sagen, ihr seid zu faul? Sollten sich die Parteien nicht lieber einmal überlegen, warum es in Schulen keinen Lehrfach „Debattieren und politische Diskussion“ gibt, oder so ähnlich? (Man könnte es auch „Demokratie“ nennen, also das Schulfach.) Wenn den Leuten nicht das nötige Werkzeug an die Hand gegeben wird, dann ist es kein Wunder, wenn sie es am Ende auch nicht tun. Wenn wir in einer Demokratie leben, dann sollten wir die Menschen auch darin Bilden.

    1. Lieber Sven,

      vielen Dank für Deinen Kommentar.

      Zu Deinem ersten Punkt: Mir geht es um die Wahl der politischen Ausdrucksform. Viele glauben, das Nichtwählen wäre ein, dem bin ich in den Wahlkämpfen 2013 und 2014 mehrfach und gehäuft über den Weg gelaufen. Andere glauben gerade, das Marschieren mit rechten Hetzern und dem vor sich hertragen von „Ich verstehe nix mehr, deswegen finde ich die etablierte Politik doof!“ sei eine.
      Ich plädiere dafür, sich in einer der demokratischen Parteien zu engagieren. Das bringt nicht nur Vorteile für die Gesellschaft insgesamt, sondern vor allem auch für die/den einzelnen. Seit ich 2011 in die SPD eingetreten bin, haben sich mir sehr viele politische Prozesse und Zusammenhänge erschlossen, die mir vorher nicht klar und deswegen auch egal waren. Genau das ändert sich, wenn man anfängt, mitzumachen. Parteien haben einen schlechten Ruf und ich finde, sie haben das zu unrecht. Schon das Mitgliedsein in einer Partei hat einen schlechten Ruf, und auch das, wie ich finde, zu unrecht, denn der ganze Laden funktioniert nur, wenn eine kritische Masse aktiv mitmacht. Wenn Du so willst, ist es mir, bezogen auf die SPD, in diesem Lichte wichtiger, sich in der SPD zu engagieren als sie zu wählen.

      Zu Deinen beiden weiteren Punkten: Da sind wir ja bereits voll in der inhaltlichen Debatte zu einzelnen Themen, hurra! Genau das muss man in den Parteien tun und genau das können wir beide hier tun. Damit sind wir aber schon ganz weit weg vom Thema meines Posts, nämlich dem Verhalten derjenigen, die gerade keine Debatten führen wollen, sondern lieber die schnelle Parole in die Straße brüllen möchten und dann tiefbefriedigt wieder nach Hause gehen, weil sie glauben, damit ihrer politischen Pflicht als Wahlberechtigte nachgekommen zu sein.
      Und ja, ich finde, man kann diesen Unzufriedenen vorwerfen, dass sie zu faul sind. 1989 haben sich tausende auf die Straßen begeben, um genau dieses Recht einzufordern, das Recht der freien politischen Willensbildung. Jetzt stehen dort andere, die die Parolen von damals benutzen, obwohl sie in einem System leben, das ihnen genau das ermöglicht, was 1989 gefordert wurde. Jede*r kann hier Bundeskanzler*in werden. Jede*r kann hier jeder Partei beitreten, die ihr/ihm am besten passt. Aber niemand wird hier etwas verbessern, indem sie/er Ressentiments gegen Ausländer und sozial schwächer Gestellte schürt.

      Bitte sieh mir nach, dass ich an dieser Stelle nicht tiefer auf Hartz IV und die Schuldebatte eingehe, nur so viel: Die Position der SPD zu Hartz IV hat sich ja bereits geändert und wird sich nur weiter ändern, wenn sich genügend Menschen in der SPD einbringen und die Debatte in dieser Partei führen. In der SPD Beuel zum Beispiel rennst Du mit Deiner Kritik an Hartz IV offene Türen ein. In anderen Ortsvereinen mag das anders sein. Oder nehmen wir das Beispiel der Grünen. In Bonn handelt es sich bei denen um ein unfassbar konservativ-bürgerlichen Haufen, der sich mit dem Einkauf teuren Biofleischs im örtlichen Bioladen das Gewissen rein zu halten sucht, auf Bundesebene halte ich die Grünen nach wie vor für einen der wichtigsten Verbündeten gegen den schwarzen Starrsinn.

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