Aus einem Buch von 2010

Vielen Dank noch einmal an @Wasalski, der mir zum Geburtstag das Buch „Vorwärts oder abwärts? Zur Transformation der Sozialdemokratie“ von Franz Walter geschenkt hat.

Neben ganz vielen Aspekten, die mich tief grübeln lassen und neben viel, z. T. heftiger Kritik an der SPD und ihrer Politik, die mich viel ändern wollen lässt, muss ich aber gerade mal diese Zeilen, die am Ende des Buches stehen, zitieren:

Am Ende könnte denn lediglich die „negative Mobilisierung“ stehen, wie sie, für einen anderen Kontext, der Direktor des Moskauer Levada-Zentrums, Lev Gudkov, beschrieben hat. Die Entstehungsbedingungen für diese „negative Mobilisierung“ wurzeln in Statusverlust und Werteverfall ganzer sozialer Gruppen. Eine nahezu alle Menschen erfassende Orientierungslosigkeit macht sich breit, der Pessimismus wächst und schlägt in Defätismus um. Positive Ziele und konstruktive Hoffnungen auf ein besseres Leben sind demgegenüber rar. An Utopien glaubt niemand mehr. Die negative Stimmung kumuliert in einer zunächst ziellosen Aggression. Diese Aggression entfaltet durchaus eine integrative Wirkung, doch richten sich die diffuse Wut, ja der blanke Hass gegen konstruierte Feinde im Inneren oder Äußeren, gegen Gruppen anderer Kulturen oder Ethnien, gegen Einzelne, die aus dem Integrationsrahmen fallen. Zum großen Sinnstifter und politischen Sammler wird dann derjenige, der den Feind mobilisierungsträchtig identifiziert und dadurch eine solche Leidenschaft entfacht, dass die Massen in die Kampagne zur Vernichtung des propagandistisch dingfest gemachten Dämonen ziehen.

(Franz Walter, „Vorwärts oder abwärts? Zur Transformation der Sozialdemokratie“, edition suhrkamp, 2. Auflage 2013, Berlin, S. 139f.)

Klingt ziemlich nach diesen Pegida-Pennern, finde ich. Der Text stammt von 2010.

Ich bin nicht sehr bewandert in politikwissenschaftlichen Dingen, sondern kann nur meine eigene politische Triebfeder als Maßstab hernehmen: Ich glaube, dass die SPD zum einen zwar mitverantwortlich dafür ist, dass diese Zeilen, die ich da oben zitiere, gespenstisch seherhaft die Realität dieser Tage vorweggenommen zu haben scheinen.

Ich glaube aber andererseits, dass es gerade die SPD brauchen wird, diesen Tendenzen entgegenzuwirken. Ich will nicht die 15.000 sog. „Pegida“ aus Dresden bei uns haben, die da willfährig mit Neonazis auf der Straße stehen oder gar selbst welche sind. Ich will die 6000 Gegendemonstranten aus Dresden, die 3000 aus Bonn und die 12.000 aus München in der SPD haben.

Warum sollten die das tun, warum in der SPD?

Die SPD hat zuletzt zwei Dinge recht glaubwürdig getan: Sie hat a) ihre Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen lassen und damit ein starkes Zeichen zur Bereitschaft für innerparteiliche Partizipation gesetzt und sie hat b) mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ein starkes Zeichen gesetzt, sozialen Ungerechtigkeiten, die sie selbst verschuldet hat, entgegenwirken zu wollen.

Ich glaube, dass die SPD 2015 vielen einen Diskursraum bieten kann, um sich politisch einzubringen und zu artikulieren. Ich glaube, dass es noch nicht so weit ist, dass nur noch „derjenige, der den Feind mobilisierungsträchtig identifiziert“ zum Sinnstifter werden kann, auch wenn „Pegida“ ekelig danach aussieht. Ich glaube, dass auch die SPD Sinnstifter sein kann. Dazu muss sie eine herzliche Willkommenskultur für Neumitglieder etablieren und vor allem Artikulations- und Diskussionsraum bieten.

Sie bietet aber denen, die sich in ihr engagieren, von allen progressiven Parteien das größte Potenzial, dass ihre Forderungen umgesetzt werden.

Ich glaube, das Gebot der Stunde ist, sich in der SPD zu engagieren. Inhaltlich war das Regierungsprogramm 2013 (PDF) stark, organisatorisch dokumentiert die Initiative #DigitalLEBEN, dass dieser Laden an der einen oder anderen Stelle doch wieder seinen Mitgliedern zuhören mag.

Von Maxim Loick

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3 Kommentare

  1. Du führst den Mindestlohn, der löchriger ist als ein Schweizer Käse, als etwas positives an? Nein, er ist nicht positiv, er grenzt schon wieder bestimmte Gruppen aus, willkürlich. Warum bekommen Heranwachsene unter 18 Jahren keinen Mindestlohn? Warum kommen Langzeitarbeitslose sechs Monate lang keinen Mindestlohn? Warum gelten bis 2017 noch Tarifverträge, die eine geringere Vergütung als den Mindestlohn vorsehen?

    Wir sehen bei den Zeitungsausträgern schon jetzt die Tendenz, die dadurch ausgelöst wird. Volljährige Mitarbeiter werden durch Jugendliche ersetzt, damit ja kein Mindestlohn gezahlt werden muss. Bei den Langzeitarbeitslosen prophezeie ich dir eine Rotation – die werden alle sechs Monate ausgetauscht, es gibt ja schließlich genügend davon. Dann gibt es auch noch Minijobs, auch die werden den Mindestlohn unterlaufen. Also nein, die SPD hat da kein positives Gesetz auf den Weg gebracht. Und ich könnte jetzt auch noch mit den Krankenkassen anfangen, aber das lasse ich lieber…

    Und nein, die SPD ist nicht die progressive Partei, bei der das Potential progressive Politik zu machen am größten ist. Wenn ich es richtig sehe, dann sind große Teile der SPD-Basis gegen TTIP – Herr Gabriel will TTIP aber mit Investorenschutz durchsetzen. Wenn ich es richtig sehe, dann ist der Großteil der SPD-Basis gegen die Vorratsdatenspeicherung, die Bundesregierung und die EU denken aber schon wieder darüber nach, wie sie die doch noch einführen können. Was entscheidet die SPD-Basis also wirklich?

    Die SPD muss erst wieder zu einer progressiven Kraft werden. Sie ist eine Wirtschaftspartei, also etwas, was absolut gar nicht mit dem zu vereinbaren ist, was die SPD eigentlich mal war, nämlich eine Arbeiterpartei. Frau Nahles arbeitet an einem Gesetz zur Tarifeinheit und will damit Arbeitnehmerrechte beschneiden – ihre Aufgabe wäre es aber, die Tarifpluralität zu stärken. Und das ist nur ein Beispiel.

  2. Zum Mindestlohn: wieviel Mindestlohn hathat irgendeine andere Partei umgesetzt? Null, nada, nothing.

    Zu TTIP: Ja, Gabriel eiert rum. Wieviel Einfluss hast Du in irgendeiner anderen Partei auf ihn? Albernerweise will Gabriel ja zu CETA einen separaten Konventsbeschluss, zu TTIP haben wir bereits einen. Innerhalb der SPD kannst Du Beschlüsse herbeiführen, die such dafür einsetzen, sich bei CETA genau so zu positionieren wie bei TTIP, die AfA hat’s vorgemacht, der Vorstand meines OV hat es ihr auch mit meiner Stimme gleich getan. Ich sehe einem weiteren Konvent zum Thema CETA ziemlich optimistisch entgegen. Aber klar, das ganze mag Dir wie unverständliches Gehampel vorkommen, aber ich glaube, dass dieses „Gehampel“ mehr Einfluss auf Sigmar Gabriel hat als alle Deine resignierten Blogbeiträge zusammen.

    Es reicht eben nicht, über niedrigschwellige Kanäle schlechte Stimmung zu verbreiten, man muss schon rein in so eine Partei und man muss da auch einiges aushalten.

    1. Ich war in dieser Partei, aber ich habe auch bestimmte Vorstellungen und Ideale. Die werden von der SPD nicht vertreten, also ist es nicht meine Partei, also auch nicht die Partei, in die ich Zeit und Kraft investieren will.

      Und doch, man kann Druck von Außen aufbauen. Was der Innerparteiliche Druck so schafft, sehen wir ja derzeit – nichts!

      Und zum Mindestlohn, es gab andere Parteien, die den Mindestlohn fordern. Die SPD hat jetzt irgendwas löchriges beschlossen, was man nicht Mindestlohn nennen kann. Ein MINDESTlohn ist etwas, was eine untere Grenze darstellen soll, eine Grenze, die nicht unterschritten werden darf – darf sie aber bei diesem komischen Mindestlohnansatz. Klar kann man immer sagen, dass man ja etwas erreicht hat, was keine andere Partei erreicht hat – ist ja auch nicht verwunderlich, wenn die SPD die einzige „Linke“ Partei in der Regierung ist. Aber das ändert doch nichts daran, dass das Gesetz mangelhaft umgesetzt wurde. Du darfst dir jetzt gerne einmal die Frage stellen, warum der Mindestlohn nicht bereits in der Zeit zwischen 1998 bis 2005 eingeführt wurde? Da gab es eine Regierung unter der Führung der SPD, da hätte man keine Kompromisse eingehen müssen, hätte keine Ausnahmen in das Gesetz einfügen müssen. Warum ist es damals nicht geschehen?

      Es gibt Gründe, warum ich der SPD den Rücken gekehrt habe und die sind ganz bestimmt nicht, dass ich schlechte Stimmung verbreiten möchte. Natürlich könnte ich aufhören die Partei zu kritisieren, aber was würde das der Partei bringen? Würde sie sich ändern, wenn jeder so tut, dass sich mit der Zeit schon irgendwas ändern wird, wenn man nur lange genug daran glaubt? Das wird nicht geschehen! Es gibt starke Netzwerke in der SPD, und wenn man etwas ändern will, dann müssen erst diese Netzwerke durchbrochen und verändert werden. Das darfst du gerne von Innen versuchen, davon möchte ich dich gar nicht abhalten, aber ich werde garantiert nicht in eine Partei eintreten, die absolut nicht meinen Überzeugungen und Idealen entspricht. Vielleicht solltest du das in deinen Überlegungen einfach mal mit einbeziehen. Da hilft die beste Werbung nicht, wenn der Inhalt absolut nicht dem entspricht, was sich der Umworbene vorstellt.

      Starke progressive Politik ist auch in der Linkspartei möglich, nur um mal zu zeigen, dass es durchaus Alternativen zur SPD gibt. Und zur Zeit könnte es durchaus produktiver sein, in die Linkspartei einzutreten, um der SPD Druck von Links zu machen, damit auch die SPD irgendwann wieder auf das Gleis zurück kehrt, auf das sie eigentlich gehört. Auf das Gleis, wo sie für Tarifpluralität eintritt, für eine wirkliche Mindestlohngrenze, für soziale Politik, für eine Grundsicherung ohne Sanktionen.

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