Soulfood

„Bleib doch da, du“, sagte der kleine Tiger.
„Der Bär kann ja so gut kochen, dass wir vor Freude immer weinen müssen, ist echt wahr.“
Und der glückliche Maulwurf blieb.

Ich will ja nicht rumjammern, aber die letzten anderhalb Wochen waren ziemlich anstrengend und jetzt jammere ich halt doch ein bisschen, weil ich finde, dass Fabian Hart recht hat und unmännliches Rumjammern Euer Bild von mir als eiskaltem Entscheider entscheidend erweitert. Und wenn ich mit einem Zitat wie dem da oben von Janosch einleite, dann tue ich das als Feminist trotz meines Wissens über die latente Frauenfeindlichkeit von Janoschs Büchern, weil ich in meinem Gejammer wie wahrscheinlich viele andere auch die Flucht in schöne Kindheitserinnerungen suche. Und nicht nur der kleine Bär und der kleine Tiger gehören zu meiner Kindheit, sondern vor allem auch viel Essen, gutes Essen mit vielen Menschen an einem Tisch.

Herbstlich sieht es heute draußen aus, bisschen grau, aber noch trocken, morgens stehen die Nebel schon über den Wiesen und die grünen und blauen Vierradantriebburgen von John Deere und New Holland donnern mit gewaltigen Maiswagen hin und her, die Maishäcksler nehmen mindestens fünf Reihen auf einmal und die Bauern auf den Treckern*) haben heute zum Glück weniger schadhafte Gebisse als die Helfer, die bei meinem Vater die Maschinen gelenkt haben. Wenn die Trecker über unseren Hof rollten – mit den vollen Wagen hinten um den Kuhstall herum, dann entladen auf der Siloplatte hinter dem alten Schweinestall, und vorne neben der weißen Scheune wieder hervokommend, um zurück zum Acker zu fahren – dann durften wir den ganzen Tag nicht raus, weil meine Mutter fürchtete, wir könnten unter die Räder geraten. Aber wir durften auf den Treckern mitfahren, da gab es sogar damals schon so kleine Notsitze für Kinder auf den Schutzblechen über den Hinterrädern. Diese Notsitze bestanden eigentlich nur aus einer gebogenen Metallstange, die als Lehne oder Geländer direkt auf das Schutzblech geschweißt war. So ein Trecker hat ja nun auch das Fahrwerk eines Treckers, so dass ich bei jedem Kiesel mit dem Rücken volles Programm gegen diese Eisenstange geworfen wurde, bequem war das nicht gerade, aber toll. Ein Heidenlärm. Auf dem Feld fuhr der Trecker mit dem großen Maiswagen so neben dem Maishäcksler her, dass der den gehäckselten Mais über diesen anscheinend zweihundert Meter hohen Arm direkt in den Wagen schleuderte, in einem nie versiegenden Strahl gehäckselten Maises. Dieser Maisstrahl war so dick wie die Arme meines Vaters, der nicht nur die leichten Stroh- sondern auch die schwereren Heuballen mit der Gräpe bis auf den Balken schmeißen konnte. Den ohrenbetäubenden Krach des Maishäckslers haben wir Kinder als ein Geräusch versucht wieder zu geben, für das man in der Schriftsprache wohl am ehesten das schwedische Å sehr laut und andauernd einsetzen muss. In Abgrenzung dazu war das Geräusch der Mähdrescher bei der Getreideernte weniger offen und rhythmischer, unterlegt vom zisselnden Schnitzeln der Messerreihe. Ich schweife ab.

So eine Maisernte dauert den ganzen Tag, früher, wir hatten ja nichts, nahm so ein Maishäcksler nämlich nur drei Reihen auf einmal. Wenn es dann schon dunkel war, kamen alle die Helfer (und es waren nur Männer) in unsere Küche und aßen die fünfzig Liter Gulasch, die meine Oma gemacht hatte. Die Helfer hatten tatsächlich schadhafte Gebisse und sprachen rhoaschkes Platt, das sich im Detail vom Erler Platt signifikant unterscheidet, wie man mir später versichert hat. Die Themen waren die Maschinen und er matschige Untergrund auf den Äckern und dass bei Hüls die Ernte vorgestern unterbrochen werden musste, weil der Maishäcksler im Morast stecken geblieben war. Kaputte Drainagen, die die Felder und Wiesen entwässern, waren, fällt mir gerade ein, auch immer Thema. Der Krach am Tisch war meiner Erinnerung nach kaum geringer als auf dem Trecker und die Männer haben meiner Erinnerung nach immer mit beiden Händen gegessen und beim Reden eigentlich gar nicht gestikuliert, weil sie die ganze Zeit gegessen und gegessen haben, bis sie dann den letzten Teil der Ernte einfahren mussten und auf ihre Maschinen zurückgekehrt sind. Ich habe diese Männer nie in PKW gesehen, ich glaube, die bewegen sich bis heute ausschließlich auf Maishäckslern und Treckern fort. Die Verbindung aus gemeinsamer Arbeit und gemeinsamen gutem Essen als Refugium ist mir geblieben.

In der Szene in Ratatouille, in der der böse Restaurantkritiker den ersten Bissen von Remys Ratatouille nimmt, fährt die Kindheitserinnung in ihn. Ich habe heute Lust, Eintopf zu kochen, ich weiß noch nicht, welchen, aber er muss mit beiden Händen zubereitet und mit beiden Händen gegessen werden. Und ich will Bier und Schnaps dazu und viele laute Menschen und wir sprechen dann eine Sprache über unsere Themen und erlauben uns ein wenig „wir“ und loben uns gegenseitig für die Dinge, die wir gerne tun, denn Lob für Dinge, die wir gerne tun fühlt sich nach Liebe an, während Lob für Dinge, die wir nicht gerne tun, eben Lob bleibt und gerade einmal unser Haar streichelt statt mit dem riesigen Löffel voll in unsere Eingeweide zu fahren.

So war das in Rhade und so machen wir das, lasst alles stehen, ich räume das hinterher mit Vergnügen in den Spüler, wenn Ihr Euch nur auf die Oberarme haut und dabei johlt. Dann weine ich vor Freude und niemand muss super schlau sein oder entscheiden oder bedenken.

 

*) Ich sage so gerne Trecker, weil da das schöne plattdeutsche „trecken“ für „ziehen“ oder „schleppen“ drin steckt – und möchte der Pollykowskaja gleich „vertreck di!“ an den Kopf werfen, wenn sie verbotenerweise ihre Nase auf den Tisch hebt. Dabei kann ich eigentlich gar kein Plattdeutsch, was sehr schade ist.

Von Maxim Loick

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