Punk

Nun, da die KommuneZwoNull seit Februar in zwei Flagshipstores aufgeteilt wurde, kämpfe ich vermehrt damit, dass Punk zwar not dead ist, sich aber irgendwie die Haare anders macht. Wir haben jetzt eine Hecke vor dem Haus and the Gesellschaftsdruck makes me schneid it regularly unter Abspielung von Protestmusik, aber nur auf meinen Noise-Cancellation-OnEars. Mit einer elektrischen Heckenschere (die sich wiederum in den eigenen Händen punkiger anfühlt als sie in den Händen anderer aussieht).

Ich habe neulich die Kellertreppe und den Abstellraum im Keller mit dem Staubsauger gesaugt, mit „Anarchy in the UK“ auf den Noise-Cancellation-OnEars. Ich hänge die Buntwäsche draußen auf der fest installierten Wäschespinne auf – auf links, aber nicht das politische links, sondern like in mit den Nähten nach außen, damit die Sachen in der Mittagssonne nicht ausbleichen.

Und gerade heute Abend fiel mir ein, wie wir damals, vor 500 Jahren, eine Band gründen wollten und bei Musik Senft in Borken (Westf) zu viert eine E-Gitarre ausprobiert haben. Mit voller Distortion bei Zimmerlautstärke. Wir waren so begeistert! <3 Von dem Moment an hatte unsere Band vier ungeschulte Gitarristen und wir wollten uns gleich auf die Suche nach einem Bassisten und einem Schlagzeuger machen. In jener Zeit hatten wir sehr sehr gute Ideen für Songs, eine der besten bestand in den Zeilen:

„Scheißsystem, weg mit dem,
Scheißsystem, weg mit dem!“

Wir hatten dann also vier Gitarristen, keinen Bandnamen und diese Zeilen, die, wenn man’s genau betrachtet, eigentlich nur eine Zeile ist. Viel später, also so ungefähr drei Wochen später, haben Joscha und ich dann die Gitarren aufgegeben und sind an Bass (Joscha) und Schlagzeug (ich) gewechselt. Damit hatten wir immerhin alle Instrumente besetzt, jetzt mussten wir nur noch irgendwie lernen, damit umzugehen. Tobi, der weiter Gitarre spielen durfte, hat sich ein Buch gekauft. Ich hab mir ein Schlagzeug für 400 Mark (es war blau) gekauft, ich musste es mit Strohbändern zusammenbinden, damit es nicht auseinander fiel. Proberaum war bei uns zu Hause im Keller in Rhade. Meine Mutter war Grundschullehrerin und hat sechs Kinder und kann daher auch bei starker akustischer Einwirkung ihren Mittagsschlaf halten, was das ganze sehr konfliktfrei gemacht hat.

Ich war ehrlich gesagt gar nicht so ein wahnsinniger Punk, vielmehr bin ich mit einem T-Shirt von Krupp in die Schule gegangen, weil mein Onkel das mal mitgebracht hat und damals bei Krupp in irgendwelchen Führungsetagen unterwegs war. Krupp-T-Shirt hatte keine*r. Joscha hat mich kritisch darauf angesprochen und dass das ja wohl mal gar nicht geht, Großkapital und Umweltverschmutzung und so und ich habe anscheinend geantwortet „Umweltverschmutzung FIND ICH GAI-EL!“ Obwohl, das war schon ziemlich punk. Bin bisschen stolz auf mich :) Fünf Jahre später wurde ich dann auch schon neunzehn.

Als wir dann alle bisschen geübt hatten mit unseren neuen Instrumenten, haben wir Quia Chayenne gegründet, hier, die Demoaufnahmen kennt Ihr ja sicher. Was mich etwas erstaunt, ist, dass ich damals vielleicht anarchischer, aber keineswegs linker als heute unterwegs war. Tempo halten, so eine Shice haben Studiomusiker*innen gemacht. Nur weil ich Schlagzeug gespielt hab, hieß das JAWOHL NOCH LANGE NICHT, dass ich mich an irgendwas halten muss, KEA!

Oui. C’est moi. On drums.

Gleichzeitig war ich ein quasi-burgeoiser Arsch: wir hatten sogar ein Bidet im Bad. Und einen Tennisplatz (den mein Vater selbst gebaut hatte) und einen Pool (den auch mein Vater selbst gebaut hatte). Und wir hatten den Bauernhof und die Weiden und die Felder – die mein Vater nach allen Regeln der Kunst runtergewirtschaftet hat, weil er für die Führung eines Betriebs kein Talent hatte und vielleicht lieber Musiker geworden wäre. Jedenfalls hat er die Beethoven-Platten geliebt, war begeisterter Sänger im MGV Cäcilia Rhade und hat das verstimmte Klavier in unserem Keller manchmal malträtiert. Er hat auch irgendwie Trompete gespielt, aber das habe ich nie gehört. Wenn ich als Kind bei ihm auf dem Trecker mitgefahren bin, da war ich schon etwas älter, vielleicht so alt wie S jetzt oder so, da hat er mit mir über Jimi Hendrix gesprochen und ich wusste gar nicht, wer das ist. Er mochte auch Jennifer Rush und ich dachte immer nur „die Quarkstimme“ und hatte etwas Angst, dass er die nur wegen ihrer Brüste mögen könnte. Die Quarkstimme fand ich wirklich nicht so gut (ihre Brüste aber heimlich schon – das konnte ich mir aber erst letzte Woche wirklich selber eingestehen). Was macht Jennifer Rush eigentlich heute? War die Punk?

War mein Vater ein Punk? Ein Punk mit Hof? Einer, der auf Zaunkonventionen schiss? Die Rinder sind jedenfalls ständig ausgebrochen und der Strom des Elektrozauns ist immer irgendwo über ungemähtes Gras weggelaufen, weshalb ja eben die Rinder ständig ausgebrochen sind. Später ist er dann gestorben, da war ich 16 und auf dem Weg, 17 zu werden. Meine Bandkarriere hat er leider nicht mehr miterlebt und ich weiß gar nicht, wie er das wohl gefunden hätte.

Meine Mutter hat gesagt: Wenn ihr mit der Band total reich werdet, ich hätte gern die Uhr bei Dingsibumsi im Schaufenster auf dem Prinzipalmarkt in Münster, die mit den kleinen Diamanten, ob das wohl klarginge? Wäre natürlich easy klargegangen, wenn das mit mit dem Beherrschen der Instrumente der Karriere geklappt hätte. Meine Mutter hat später, als mein Vater schon gestorben war, im Auto immer Guns’n Roses hören müssen, weil meine Schwester Jule eine Cassette ins Autoradio eingelegt hatte, die auf beiden Seiten Use Your Illusion drauf hatte – und das völlig moderne Autoradio hatte ein Cassettengerät mit Autoreverse. Meine Mutter wusste nicht, wie man so ein Tape aus dem Radio entfernt, also ist sie über Jahre mit Axl zum Einkaufen gefahren. Sehr sehr viel später (so ungefähr 30 Jahre oder so) waren wir dann auf der Hochzeit meines Cousins in Oldenburg und meine Mutter, meine Schwestern und ich hatten leicht einen im Tee, da haben wir meine Mutter überredet, dass sie sich bei diesem Hochzeitstanzalleinunterhalter „November Rain“ für ihre Kinder gewünscht hat. Wir haben da sehr gelacht, zumal meine Tante, eine der zahlreichen Schwestern meines Vaters, sich an der Wand entlang zum Klo tasten musste, während meine eigenen Schwestern und ich „and it’s hard to hold a candle in the cold november rain“ intonierten.

Ist meine Mutter ein Punk? Eine Grundschullehrerin? Mit 23 im Jahre neunzehnhundertpaarnsechzig mit roten Haaren nach Rhade kommen? Während des Schützenfestes in fremde Küchen einbrechen (also „einbrechen“ mit Anführungsstrichefingerzeichen, die Türen standen damals immer 24/7 alle offen in Rhade), um sich dort mit Herrn H. zusammen in aller Ruhe ein paar Spiegeleier zu braten? Beim lokalen Molkereimagnaten in den Swimmingpool zu springen (sehr züchtig in Klamotten), um danach mangels trockener Kleidung mit nichts unter dem Pelzmantel in die Dorfkneipe zu gehen? Und dann von Manfred V. gefragt zu werden, warum sie in der Affenhitze einen Pelz trage und dann zu antworten „Weil ich nichts drunter hab, willste sehen?“ Und uns sechs Kindern zu sagen: „Mann Mann Mann, nach dem Sekt bei Schwiderek ist der Schrank an die Decke geflogen, aber in die Schule musste ich am nächsten Tag trotzdem gehen“? Ist das Punk?

Soll der Punk on ragen? Wie ist denn das heute? Heckenschere oder ausschweifende Nächte mit Drogen und Alkohol? EN ISO 13485 oder Headbanger’s Ball? Patentrecht oder Rinderzaun? Und dann Klinkerfassade? Und mit der Wasserpumpe zu den Rindern fahren, um dort Sonntag morgens die Tränke aufzufüllen? Und dabei Jennifer Rush, Beethoven und Hendrix hören?

Was machen wir denn hier gerade? Während ich diese Zeilen tippe, habe ich einen Sensor in der Unterhose, um Testdaten für ein Himmelfahrtskommando namens trackle zu sammeln. Das große Kind schreibt morgen Mathe und kennt das Kommutativgesetz nicht so richtig. Das kleine Kind hat jetzt einen Crush und eine beste Freundin, um mit ihr über seinen Crush zu reden.

Auf geht’t!

Von Maxim Loick

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