Walpurgisnacht. Was verrücktes tun.

Es ist Walpurgisnacht, wir sollten was verrücktes tun! Die Luft brennt, es ist warm, es fahren VW Golfs mit Maibäumen, die aus dem Kofferraum ragen, durch die Straßen, Musik dringt aus den Gärten und die Jungs sind geil. Sie wollen verrücktes tun und stellen Maibäume auf und bewachen sie oder klauen anderer Leute Maibäume und machen Hahnenkämpfe und sind voll ernst dabei, aber inbrünstig. Es geht um IHR Mädchen. Und die Mädchen sind voll der Liebe (oder voll enttäuscht, wenn kein Bäumchen vor ihrem Fenster zu stehen kommt).

Der Große Sohn hat gesagt, ich solle der Mama doch auch einen Maibaum stellen. Die Frau sagt: „Der Papa und ich, wir sind jetzt seit zehn Jahren verheiratet, und noch nie hat er mir einen Maibaum gestellt.“ Voll in der Defensive, stottere ich, dass mir dieser Brauch nicht so geläufig sei, bei uns zu Hause, in Westfalen… aber da sind die Kinder schon im Bett. Und die verrückte Frau sagt: Ich guck noch etwas Mad Men. Ich nehme den Hund und drehe die Runde um den Block*). Die Maibaumgolfs fahren und tosen um mich herum, alle tun etwas verrücktes und ich gehe mit dem Hund um den Block. Verrücktes tun, was ganz einfaches, einen Maibaum klauen und der Frau unters Fenster stellen, nichts mit Planung, einfach drauflos, was ganz verrücktes, was die Welt verändert, ein kleines bisschen nur, für sie und für mich. Ein ZEICHEN!

Polly und ich gehen nach Hause. Die Kinder schlafen schon, die Frau guckt Mad Men. Es ist Walpurgisnacht!

Wir fahren die Königswinterer Straße entlang, alles voller Plakate zur Kommunal- und Europawahl. „Scheiß-Nazis, Scheiß-Nazis, CD-Buh!, CD-Buh!… jaaah, Maaartin Schulz! Deeen muss man wählen!“, liest der Große Sohn vor. Und der kleine Sohn ruft. „Daaa! Da ist… äh… Papa, wie heißt die nochmal?“ „Dörte Schall“, sage ich. „Heißt komisch, sieht aber schön aus“, sagt der Große Sohn**). „Frauen mit langen Haaren, die liebe ich immer“, sagt der kleine Sohn. Und das gleiche sagen die Söhne, wenn sie mit der Frau unterwegs sind, und die Frau fragt mich, ob ich sie so indoktriniert habe. Ich sei mir keiner Schuld bewusst, antworte ich wahrheitsgemäß. Und wenn ich einen Termin bei den Genoss*innen habe, küsst mich die Frau und sagt, ich solle die Welt retten gehen und dann versuche ich das.

Aber die Rettung der Welt, das machen wir ja in Wirklichkeit gar nicht bei den Genoss*innen, sondern hier zu Hause. Was kochen. Was vorlesen. Was erzählen. Fragen beantworten. Was essen. Ein Spiel spielen. Was im Fernsehen gucken. Kitzeln. Was malen. Zähneputzen. Aufräumen. Was mit Lego bauen. Was reimen. Zu Gangnam Style tanzen. Uns in Ruhe lassen. Uns was fragen. Zoffen. Mit Polly spielen. Polly streicheln. Mit Polly durch den Regen gehen und sie vom Sofa brüllen. Über Obdachlose sprechen und über Krieg. Über Angst und über keine Angst. Zur Arbeit gehen. Von der Arbeit nach Hause kommen. Sich nicht ernst nehmen, sich ernst nehmen. Feuer machen. Zur Oma fahren. Zur anderen Oma fahren. Picknick im Garten. Küchentisch mit Joghurt einschmieren und wieder sauber machen. #spülerAusräumenToDeath. Buchhaltung, Rechnungen schreiben, Jahresabschluss zu spät einreichen (wie jedes Jahr), wilde wilde Biere trinken, Fotos angucken, Fotos machen, was bloggen, was denken, was reden. Was gut finden (oh, das kann ich gut!), was gut finden! Auf den Hosenbeinen trommeln, bei der Oma im Keller das alte Drumkit verprügeln („jetzt will ich aber auch mal!“). Bilder einkleben. Mit den Kommunard*innen Schierker Feuerstein aushalten. Pläne machen. Weit in die Zukunft denken. Weit zurück denken. Den Söhnen was von Treckern erzählen und überhaupt den Söhnen immer wieder was erzählen. Unsinn. Tiefsinn. Sie fragen machen. Die Frau küssen. Winkarten bestimmen. Radio hören. Single Malt trinken. Grünkohl machen. Mit dem Großen Sohn Inline Skates, mit dem Kleinen Sohn Fahrrad fahren. Nach dem Olivenbaum gucken. Nach dem Mais auf den Feldern gucken, den Boden lehmig finden. Mercedessen hinterhergucken (also den alten). Finger schnippen. An Zigaretten denken und KEINE rauchen. Mama Muh Zitate sagen. Und von Krähe. Klischees erfüllen und Klischees blöd finden. Pausenbrote wegschmeißen. Biofleisch kaufen, zubereiten und essen (die Kinder meistens nur die Kartoffeln). Wahlkampf machen. An die Sieg fahren. Fußball gucken. Fußball im Ticker verfolgen, D64 Ticker schreiben. Zum UB Parteitag gehen, zum Bundesparteitag fahren. Die TL checken. Den Söhnen Eure Avatare erklären. Voll weit weg sein auf der Terrasse und #wäscheAufhägenOnElmStreet vergessen. Ans Meer wollen (kaum da, ist da nur Regen, aber baden gehen!). Reiseplanungen vergessen, den Müll voll im Griff haben. Den Kindern „Die Blümelein“ zum Einschlafen singen. Den Kindern ein frei Ausgedachtes zum Einschlafen singen. Bei Monster Magnet sentimental werden. Sich Sachen vornehmen und auf die Konzerte von den Bands von Freunden gehen. Anderen Eltern Mut zusprechen. Sich selber Mut zusprechen, der Frau Mut zusprechen, den Kindern Mut zusprechen, den Stakeholdern im Job Mut zusprechen. Polly Mut zusprechen. Wasser trinken. #supportTweets senden. Rasen mähen. Mettenden essen. Seufzen und Drama! Bedenken wegwischen, sich nicht so anstellen. Hart sein und dabei blöd grinsen. Entscheider sein, Weichei sein und die Hände heben. Hundertzwanzig werden wollen! Die Welt retten wollen!

Ob das die Welt rettet? Ob das was verrücktes ist, verrückt genug für nur eine einzige Walpurgisnacht? Ob Fleurop Birken im Sortiment hat?

*) Dicker Haufen direkt unter Vollüberwachungs-Voss, guter Hund, ja fein! (Ich mach den Haufen völlig korrekt trotzdem mit Kacktütchen weg.)

**) Habe die Söhne selbst-ver-ständ-lich über Inhalte und Positionen der SPD zu Europa aufgeklärt, aber sie wollten sich partout auf Äußerlichkeiten beschränken.

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Kategorisiert in Allgemein

Von Maxim Loick

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